AfD erreicht in etlichen Celler Wahllokalen über 20 % der abgegebenen Stimmen

Überraschungen brachte die Landtagswahl in Niedersachsen nicht hinsichtlich der Regierungsbildung. Dass SPD und B’90/Die Grünen zusammen eine Mehrheit der Stimmen und Sitze erreichen würden, war zu erwarten. Die Stimmung im Land lässt sich vielleicht eher daran ablesen, dass die FDP an der 5 %-Hürde scheiterte, wie auch daran, dass von Inflation und Energiepreis die AfD (10,9 %), nicht aber Die Linke (2,7 %) profitierten. Wir wollen im Folgenden keinen Rückblick mehr auf das Ganze werfen, sondern uns mit der AfD befassen.

Horst Kahrs hat für die Rosa-Luxemburg-Stiftung in einer Nachwahlbetrachtung festgestellt, dass die Hochburgen der AfD einerseits in der »Automobil-Region« um Wolfsburg liegen, dann auch in den demographisch schrumpfenden Regionen der Lüneburger Heide und zwischen Elbe und Weser und schließlich im Nordwesten in Gebieten, die von Deindustrialisierung betroffen bzw. bedroht sind.

Aus Nachwahlbefragungen von Infratest dimap ergab eine interessante Differenz: Die eigene Situation als »gut« stufen zwar 91 % der Wähler:innen von B’90/Die Grünen ein, aber auch 67 % der AfD. In einer schlechten wirtschaftlichen Situation wähnen sich dagegen bei der AfD 21 % und bei B’90/Die Grünen 7 %. (In diesem Zusammenhang interessant: Von den Wähler:innen der Linken sahen sich nur 3 % in einer wirtschaftlich schlechten Lage.) Horst Kahrs folgert: „Eine als schlecht bewertete eigene wirtschaftliche Situation hatte mithin zweifach Einfluss auf das Wahlverhalten: die Chance, dass grün gewählt wurde, war deutlich niedriger, die Chance, dass braun gewählt wurde, deutlich höher.“

So ist es auch nicht verwunderlich, dass die AfD ihre besten Ergebnisse bei der Altersgruppe zwischen 30 und 44 erzielte. Und: In der – quantitativ eher kleinen – Gruppe der sich an der Wahl beteiligenden erwerbstätigen Arbeiter:innen (hier abgegrenzt von Angestellten) ist die AfD mit 26 % außerordentlich stark.

Schauen wir aufs Lokale: Im Wahlkreis Celle (mit Hambühren und Wietze) hat die AfD 13,3 % und im Wahlkreis Bergen (mit dem Rest des Landkreises) 14,8 % erzielt. Ein Stadt-Land-Unterschied ist kaum feststellbar. Die Direktkandidaten Daniel Biermann (14,8 %) und Jens-Christoph Brockmann (13,7 %) waren nah an den Zweitstimmenergebnissen.

Es ist hilfreich, sich die einzelnen Stadtteile anzuschauen – siehe Tabelle oben rechts. Es gibt bei der AfD in der Stadt Celle – grob betrachtet – jeweils drei „Ausreißer“ nach oben und nach unten. Die besten Ergebnisse erzielt sie in Stadtteilen mit deutlich mehr Miet- als

Eigentumshaushalten. Bei den drei schlechtesten Ergebnissen ist es tendenziell andersrum. (Die rechte Spalte zeigt die jeweilige Wahlbeteiligung.) Kurz: In Stadtteilen, so sich die größten Vermögen und die besten Einkommen sammeln, ist die AfD am schwächsten.

Bei der Urnenwahl (also ohne Berücksichtigung der Briefwahlstimmen) bekam die AfD in 10 Wahllokalen jeweils über 20 % der Stimmen: Alle liegen in Vorwerk, der Heese und Wietzenbruch. Das beste Ergebnis gab es mit 29,1 % im westlichen Vorwerk, wo vielleicht zusätzlich ein vergleichsweise hoher Anteil an „Russland-Deutschen“ das Ergebnis beeinflusst hat.

Zurück zu einer allgemeinen Betrachtung: Von SPD, CDU und FDP gab es eine erhebliche Wähler:innen-Wanderung zur AfD – das typische Bild von Proteststimmen eigentlich. Horst Kahr allerdings fügt folgende Überlegung hinzu: „Allerdings Proteststimmen, die politisch nicht ungerichtet sind. Man stimmt gegen die Politik der Bundesregierung, weil man zumindest eher die Gasversorgung aus Russland gesichert haben möchte, weil man findet, dass an »unser Land zuerst« gedacht werden müsste und weil man einen bestimmten Lebensstil in den stattfindenden Veränderungen verteidigen will.“ Trotzdem: „Nur ein geringer Teil der Stimmen [...] kommt von Menschen, die ihre eigene persönliche wirtschaftliche Situation als schlecht einschätzen.“

Quelle: Horst Kahrs - Die Wahl zum 19. Niedersächsischen Landtag am 9. Oktober 2022 - Wahlnachbericht und erste Deutungen - - - https://www.rosalux.de/publikationen