Eine menschenleere Celler Innenstadt am frühesten Morgen. Fünf link(s-radikal)e Laternen stehen in der Dämmerung beieinander und be­ginnen ein Gespräch.

Oma Lilo: Erinnert ihr euch? 1996 wurde der US-Außenministerin Ma­deleine Albright in einer Talk-Show die Frage gestellt: „Wir haben ge­hört, daß eine halbe Million Kinder gestorben sind [im Irak]. Ich meine, das sind mehr Kinder, als in Hiroshi­ma umkamen. Und - sagen Sie, ist es den Preis wert?“ Albrights Ant­wort: „Ich glaube, das ist eine sehr schwere Entscheidung, aber der Preis - wir glauben, es ist den Preis wert.“

Der lange Lulatsch: Du meinst, was werden die Baerbocks, Hofreiters und Strack-Zimmermanns antworten, wenn am Ende die Zahl der Toten Soldat:innen und Zivilist:innen bilanziert wird?

Oma Lilo: Nein. Ich wollte die Antwort prognostizieren.

Der Besserwisser: Die Freiheit hat halt ihren Preis.

Klein Jonas (liest von seinem Smartphone ab): Der Russland-Ukraine Krieg hat laut Zählungen des UN-Hochkommissariats für Menschen­rechte (OHCHR) bis zum 2. Januar 2023 mindestens 6.919 Todesopfer in der ukrainischen Zivilbevölkerung gefordert, darunter mindestens 429 Kinder. Zudem wurden aufgrund des Ukraine-Krieges bisher min­destens 11.075 verletzte Zivilist:innen, darunter 808 verletzte Kinder, vom OHCHR erfasst. Durch den Ukraine-Krieg sind bis zum 3. Januar 2023 laut des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) bereits mehr als 17,1 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen.

Der lange Lulatsch: Und bei den Soldat:innen?

Klein Jonas: Wie viele Soldaten seit Beginn des russischen Einmar­sches in die Ukraine im Februar 2022 insgesamt gestorben sind, ist öf­fentlich nicht bekannt. Aus dem US-Militär hatte es im November ge­heißen, wahrscheinlich gebe es jeweils mehr als 100.000 Tote oder Verwundete auf beiden Seiten.

Der Besserwisser: Aber sie haben bestimmt dabei viele Begegnungen mit interessanten, tollen Menschen gehabt. Das war es doch wert.

Oma Lilo: Und von der Linken, also auch jenseits der Partei, kommt: wenig bis nichts.

Die Dicke: Es gibt halt sehr unterschiedliche Bewertungen. Bei der Linkspartei mehrheitlich eine Ablehnung von Waffenlieferungen und Sanktionen, wobei aber einige Protagonist:innen nichts gegen eine rechtsoffene Bündnispolitik haben. Eine nicht ganz so kleine Minderheit in der Partei findet aber wegen des Selbstverteidigungsrecht der Ukraine gegen die russischen Okkupationspolitik Waffenlieferungen ganz okay. Und die post-autonome Linke ...

Der lange Lulatsch: Sagen wir mal so: Die russischen Kriegsziele werden selbstverständlich abgelehnt und klar als Imperialismus verurteilt, der sich auch gerade in der letzten Phase mit der gezielten Zerstörung ziviler Infrastruktur völlig entgrenzt. Gleichzeitig ist klar, dass der Krieg eine Vorgeschichte in der Ostexpansion der NATO hat. Der Krieg ist ein Desaster für die Menschen in der Ukraine und auch für einen Großteil der Bevölke­rung in Russland. Aber solange es keine sichtbare Verweigerung derjenigen gibt, deren Leben in diesem Krieg geopfert werden, gibt es halt keine Adressaten für unsere Solidarität.

Die Dicke: Und wer sich hinstellt und sagt: Schluss mit diesem Krieg, muss sich in Deutschland halt anhören, damit den imperialen Interessen Russlands in die Hände zu spielen. Und es ist angesichts der russischen Aggression nicht einfach, darauf zu bestehen, dass USA und NATO diesen Krieg zumindest nicht verhindern wollten.

Klein Jonas: Wieso das?

Die Dicke: Nehmen wir nur die Phase ab 2015. Merkel hat sich ja im Dezember in der ZEIT dazu erklärt: „Das Minsker Abkommen 2014 war der Versuch, der Ukraine Zeit zu geben. […] Es war uns allen klar, dass das ein eingefrorener Konflikt war, dass das Problem nicht gelöst war, aber genau das hat der Ukraine wertvolle Zeit gegeben. […] Sie hat diese Zeit hat auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sieht.“ Statt also friedenspolitische Initiativen zu entwickeln, wurde darauf gesetzt, die Ukraine kriegsfähig zu machen.

Oma Lilo: Und da sind wir bei: „Krieg beenden, Waffen senden!“ – so kürzlich ein Transparent der Jungen Liberalen. Erinnert ihr euch – Genscher, Außenminister und FDP, auf einer UN-Vollversammlung 1983: „Wir wollen Frieden schaffen mit immer weniger Waffen.“ Damals auch gerichtet gegen die Friedensbewegung und die Grünen.

Der lange Lulatsch: Und das im Nachhinein betrachtet mit einem Wahrheitskern, die Mittelstreckenatomraketen wurden verschrottet. Bei Hofreiter, Strack-Zimmermann und Baerbock muss ich jetzt gelegentlich an das Spruchbanner denken, unter dem Goebbeles nach Stalingrad seine Sportpalast-Rede hielt: „TOTALER KRIEG – KÜRZESTER KRIEG“.

Die Dicke: O là là – ein Goebbels-Vergleich. Naja, das konnten ja auch schon Brandt und Kohl.

Der Besserwisser (singt leise): „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt.“

Klein Jonas: Danger Dan.

Der lange Lulatsch: Aber vielleicht wäre das wirklich mal eine „linke“ Aktion, sich vor dem Bundeskanzleramt oder dem Außenministerium mit einem Transparent hinzustellen, auf dem genau das steht.

Oma Lilo: Die Hälfte der Bevölkerung würde diese Kritik, wenn auch nicht die Form, immerhin begrüßen, wenn wir den Umfragen glauben: Nach einer Befragung des Meinungsforschungsinstitutes Insa für die «Bild am Sonntag» lehnen 50 Prozent Lieferung von Kampfpanzern ab, und nur 38 Prozent sind dafür. Und 52 Prozent der Bevölkerung gehen nach infratest dimap die diplomatischen Anstrengungen der Bundesregierung zur Beendigung des Krieges nicht weit genug.

Die Dicke: Was erstaunlich ist angesichts der medialen „Front“. Interessant wäre, jetzt nicht nach Parteien sortiert sondern nach Einkommen, wer eigentlich wenig davon hält, Menschen auf dem Schlachtfeld für die „Freiheit“ von Oligarchen-Interessen sterben zu lassen.

Der lange Lulatsch: Ein Waffenstillstand muss her. Sofort. Und für Verhandlungen lässt sich an die Vorschläge der Ukraine vom März vergangenen Jahres anknüpfen: Atomwaffenfreie, neutrale Ukraine – versehen mit Sicherheitsgarantien. Territorial müsste sich die Russische Föderation auf den Stand vor dem 24. Februar zurückziehen. Das wäre ein Anfang.

Oma Lilo (singt nach Edwin Starr): I said: War / What is it good for? / Absolutely nothing, say it again ...