Celler Klimaplattform stellt Fachaufsichtsbeschwerde in Sachen „Breite Straße“
Die Celler Klimaplattform hat eine Fachaufsichtsbeschwerde gegen die Untere Naturschutzbehörde der Stadt Celle gestellt. Grund: Pflichtverletzung durch zu geringer Berücksichtigung des Naturschutzes im Falle der Linden in der Breiten Straße, nicht ausreichender Kontrolle und unzureichendem Schutz der Bäume – auch während der durchgeführten Baumaßnahmen – und möglicher Erteilung einer Genehmigung zur Fällung fast aller Bäume. Wir dokumentieren in Auszügen:
Nach wie vor hält die Celler Stadtverwaltung an ihren Plänen fest, im Zuge der Sanierungsarbeiten in der Breiten Straße möglichst viele der Alleebäume [...] zu fällen. Andernorts ist es gängige Praxis, Straßen unter Erhalt des Baumbestandes zu sanieren. Im Falle der Breiten Straße sehen wir jedoch eine Vernachlässigung der Aspekte des Natur- und Klimaschutzes im Zuständigkeitsbereich der Unteren Naturschutzbehörde der Stadt Celle. [...]
1. Nach NNatSchG §5 „Positivliste Landschaftselemente“ sind Alleen besonders geschützte Landschaftselemente
Dies gilt hier insbesonders, da die Breite Straße die Fuhse-Auen im Süden mit den Triftanlagen und (über die parkähnlichen Liegenschaften des Landkreises Celle) mit den Aller-Auen vernetzt und somit eine hohe ökologische Funktion in der stark zerschnittenen Stadtlandschaft wahrnimmt – Stichwort „Biotopverbund“. Mit einer Fällung der voluminösen und an kleinteiligen Rückzugsräumen reichen Altbäume wird diese Funktion auch nach einer Neupflanzung auf Jahrzehnte stark beeinträchtigt. [...]
2. Verstoß gegen DIN 18920 und RAS-LP 4, ZTV-Baumpflege bei den vorbereitenden Suchschachtungen
Bereits bei den Suchschachtungen zur Erkundung des tatsächlichen Leitungsverlaufs wurde massiv gegen die DIN 18920 verstoßen und der Gesundheitszustand der betroffenen Alleebäume vorsätzlich oder grob fahrlässig verschlechtert. [...] Tatsächlich wurden die Arbeiten entgegen der Ankündigung (siehe 1) zum größten Teil mit Baggern durchgeführt Mindestabstände vielfach unterschritten, z.B. betrug vor Haus Nr.2 der Abstand zum Stamm (ca. 90 cm Umfang) weniger als 140 cm. Der Baum hat(te) die höchste Bewertungsklasse im Baumgutachten. [...] Zahllose Wurzeln auch über 2 cm Durchmesser wurden grob (nicht schneidend) durchtrennt und blieben unbehandelt. [...]
3. Orientierung der Planung an Park- und Verkehrsraum statt am Erhalt der Bäume/Belangen des Natur- und Klimaschutzes
[...] die Planungen [werden] nicht an einer möglichst geringen Beeinträchtigung der Alleebäume orientiert, sondern an einem möglichst umfangreich zu erhaltenden/zu schaffendem Park- und Verkehrsraum. Dabei hat die Breite Straße keine besondere Bedeutung für den inner- und überörtlichen Straßenverkehr. [...] Wichtig ist die Verkehrsführung über die Breite Straße nur für den Radverkehr durch die Anbindung an die Triftanlagen/Trift und zur Vermeidung der schlechten, gefährdenden und erheblich zu schmalen Radwege an der Hannoverschen Straße. Der ruhende Verkehr kann ebenfalls eingeschränkt werden, da den anliegenden Unternehmen eigene Parkplätze in den Höfen zur Verfügung stehen. Auch für die Anwohnenden stehen unserer Beobachtung nach jederzeit freie Parkplätze in der Straße bereit. Somit vertritt die Untere Naturschutzbehörde in der Abwägung der verschiedenen Interessen dem Naturschutz nicht mit ausreichendem Gewicht.
4. Artenschutzgutachten
Nach unserem Kenntnisstand wurde bislang noch kein Artenschutzgutachten in Auftrag gegeben oder angefertigt (Stand November 2022). Da es dem Vernehmen nach an externen und unabhängigen gutachterlichen Kapazitäten fehlt, steht zu befürchten, dass das Artenschutzgutachten von der Unteren Naturschutzbehörde intern vergeben wird. [...] Die Untere Naturschutzbehörde scheint ihren Aufgaben in Planung, Kontrolle und Genehmigung nur unzureichend nachkommen zu können.
5. Duldung der Schädigung der Allee durch parkende Fahrzeuge
Derzeit wird regelmäßig durch schwere Kraftfahrzeuge bis knapp an die Stämme der Linden heran geparkt, was die Stadtverwaltung seit mindestens 10 Jahren duldet, ohne gegen diese Schädigung der Bäume durch die Verdichtung des Wurzelraums im Bereich der Baumscheiben vorzugehen. Nach §2 Satz 1 ist aber die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts zu erhalten und zu verbessern, was im Falle der Breiten Straße bis heute wissentlich unterlassen und nicht kontrolliert wird.
6. Fehlgeschlagene Maßnahmen Ausgleichspflanzungen und Ersatzpflanzungen
Ausgleichspflanzungen für Bauvorhaben in der Vergangenheit sowie Ersatzpflanzungen sind in Celle oft in einem sehr schlechten Zustand [...] In diesem Zusammenhang kontrolliert die Untere Naturschutzbehörde den Erfolg der angeordneten Maßnahmen nur unzureichend. In Zeiten von Dürresommern mit Hitzewellen darf unter diesen Voraussetzungen bezweifelt werden, ob neu angepflanzte Alleebäume sowie die als Ausgleich gepflanzten zusätzlichen Bäume anwachsen, die ersten Jahre überleben und je die Leistungsfähigkeit der jetzigen Allee erreichen werden.
7. Unbedingter Erhalt von Altbäumen, Zustand der Bäume lt. Baumgutachten
Von zahlreichen Expert:innen wird dringend empfohlen, Altbäume so weit es irgendwie geht zu erhalten: Diese hätten sich ihren Standort erfolgreich erschlossen und seien damit auf zukünftige weitere Belastungen vorbereitet. Jungbäume haben durch ihre noch gering ausgeprägten Wurzeln nur verringerte Möglichkeiten, Wasser- und Nährstoffvorräte zu erschließen, die sich in Dürre- und Hitzeperioden, aber auch zur Abwehr von Schädlingen und anderen Stressfaktoren benötigen. […] Im Baumgutachten wird trotz der geringen Pflege und Erhaltungsmaßnahmen der Gesundheitszustand von 27 Alleebäumen mit der höchsten Bewertungsklasse 0 beurteilt, 31 Bäume fallen in die Bewertungsklasse 1. Nur 10 Bäume fallen in die schlechteren Klassen 2 bis 4; elf Bäume werden als nicht erhaltungswürdig eingestuft. Es gibt also für die Allee als Gesamtes keine sachliche Begründung, der Fällung zuzustimmen.
8. Auswirkung auf das Mikroklima
So weit uns bekannt ist, wurde keine ausreichende Abwägung der verschiedenen möglichen Varianten unter Gesichtspunkten von Natur- und Klimaschutz vorgenommen. Die Kühlung und Beschattung der Bäume an warmen und heißen Tagen hat einen sehr positiven Einfluss auf das Mikroklima der Straße. Diese Funktion ist unserer Überzeugung nach höher zu gewichten als eine möglichst unveränderte oder gar vergrößerte Parkfläche für Kraftfahrzeuge oder ungehinderte Fahrt des Durchgangsverkehrs. Diese mikroklimatischen Vorzüge werden auch nicht durch den angedachten Einbau von „Schwammstadt“-Elementen in den Wurzelbereichen neuanzupflanzender Alleebäume aufgewogen. [...]
Daraus abgeleitete Forderungen:
Aufgrund der aufgeführten Aspekte handelt es sich bei den Plänen zur Fällung von großen Teilen der Lindenallee in der Breiten Straße nach NNatSchG § 11 um einen vermeidbaren und damit unzulässigen Eingriff im Sinne des Gesetzes:
„Sind als Folge eines Eingriffs erhebliche Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes zu erwarten, die nicht vermieden und nicht nach §10 ausgeglichen werden können, so ist der Eingriff unzulässig, wenn bei einer Abwägung aller Anforderungen an Natur und Landschaft untereinander die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege vorgehen.“
Da die genannten Begründungen allesamt bekannt sind, aber nicht zu einer wesentlichen Korrektur der Planungen beigetragen haben, sehen wir insbesondere der unter Punkt 2 und 4 und 6 ausgeführten Argumente die akute Gefahr, dass kurzfristig durch die Stadtverwaltung durch die Fällung der Linden Tatsachen geschaffen werden. Wir fordern Sie daher als übergeordnete Behörde auf, gegenüber der Stadtverwaltung die Aufgaben der Unteren Naturschutzbehörde zu übernehmen und die Belange des Natur- und Klimaschutzes angemessen im Planungsprozess und der Ausführung der Sanierung zu vertreten.