Energie- und CO2-Bilanz mit Potenzialanalyse und Szenarien

In der letzten Wahlperiode tat sich im Landkreis Celle unter dem alten Landrat Wiswe in Sachen Klimaschutz wenig. So wurde z.B. ganz selbstverständlich die Neuanschaffung von Dieselbussen durchgewunken oder beim Neubau von Schulen nicht auf höchste Energiestandards gedrungen. Doch im 2021 neugewählten Kreistag bildete sich ein Bündnis „Gemeinsam für Fortschritt“, das sich explizit für Maßnahmen zum Klimaschutz einsetzen will. Das führte nicht nur zur Einrichtung eines neuen Ausschusses für Mobilität, Gebäudewirt­schaft und Klimaschutz und der Berufung eines Vertreters der Celler Klimaplattform als beratendes Mitglied. Gleich in den ersten Sitzungen des Kreistags und seiner Aus­schüsse zeigte sich, dass auch die Verwaltung und der neue Landrat Axel Flader beim Klima­schutz mitziehen.

Inzwischen wird zügig an der Erstellung einer Treibhausgas­bilanz (THG-Bilanz) und eines Klimaschutzkonzepts gearbeitet. Und auch bereits bei laufenden Projekten wurden erste klimagerechte Maßnahmen umgesetzt. Allerdings muss angemerkt werden, dass der Kreis in Sachen Klimaschutz nur in seinen eigenen Liegenschaften und nur innerhalb gesetzlich vorgegebenen Kompetenz­bereichen tätig werden darf. Er kann z.B. den einzelnen Kommunen keine Vorgaben machen und ist auch bei der Unterstützung der einzelnen Kommunen beim Klimaschutz gesetzlich sehr eingeschränkt.

Fortschritte im Bau und bei Dach-PV

Neue Gebäude des Landkreises, vor allem Schulen – wie z.B. der Neubau des Gymnasiums in Hambühren – werden in Zukunft nach hohem Energiestandard EH 40 und in Kombination mit PV-Anlagen und Wärmepumpenheizung errichtet. Auch wenn diese Häuser nicht den Passivhaus- oder Plusenergiehaus-Standard erreichen, werden sie bei Fremdbezug von grünem Strom klimaneutral sein. Zukünftige Gebäude sollen sogar Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung bekommen.

Die Mehrheit der Politik und die Verwaltung sind sich einig, dass Klimaschutz etwas kosten darf und muss und „Wirtschaftlichkeit“ nicht nur kurzfristig gesehen werden darf. Auch bei der Sanierung von Schulen wird inzwischen verstärkt auf Senkung des Wärmeenergieverbrauchs geachtet, doch stößt man hier oftmals an irrsinnige Vorgaben des Denkmalschutzes. So dürfen z.B. in der Altstädter Schule oder bei der Sanierung des Schulkomplex in der Bahnhofstraße keine besser isolierten Fenster eingesetzt werden. Auch beginnen beim klimagerechten Bauen die extrem gestiegenen Baukosten bei gleichzeitig gestrichener oder reduzierter staatlicher Förderung als Bremse zu wirken. In Hambühren z.B. konnte aus Kostengründen nicht die eigentlich energetisch optimale Erdsonden-Wärmepumpe eingesetzt werden (stattdessen Luftwärme­pumpen und Holzpellet-Kessel), und die Sanierung des Schulzentrums an der Burgstraße kann statt 2023 erst 2024 erfolgen.

Begrenzte Fortschritte beim ÖPNV

Nachdem sich der Landkreis ein kompetentes Gutachten machen ließ, soll nun ab 2025 beginnend mit mindestens 25 Bussen auf Elektroantrieb umgestellt, so dass bis 2035 bei den Bussen der E-Antrieb voraussichtlich 80 % erreicht wird. Auch das Angebot soll attraktiver werden: So wird gerade der Abendbetrieb auf den Linien 600 und 800 ausgeweitet und ein erstes On-Demand-Verkehrsprojekt in Lachendorf und Flotwedel gestartet.

Doch noch krasser als bei den Gebäuden zeigt sich im Bereich ÖPNV die Diskrepanz zwischen den Erfordernissen einer Verkehrswende und den Möglichkeiten ihrer kommunalen Umsetzung. Wie auch ein von der Verwaltung veranstalteter Workshop zu „Mobilität im Klimaschutzkonzept“ zeigte, liegt der Endenergieverbrauch für Verkehr im LK Celle mit 26 % (nach den Haushalten mit 46 % für Strom und Wärme) und mit ca. 34 % der THG-Emissionen an zweiter Stelle. Deshalb waren sich fast alle Teilnehmenden des Workshops einig, dass eine für den Klimaschutz und die Energiewende wirksame Verkehrswende eine weitgehende Abkehr vom Motorisierten Individualverkehr (MIV) bedeutet.

Dafür müsste aber der Busverkehr eine wirklich flächendeckende und eng getaktete Versorgung aller Gemeinden bieten, ergänzt durch On Demand in Gebieten und zu Zeiten, wo Regelbetrieb nicht sinnvoll ist. Denn nur ein gut nutzbares Angebot schafft auch die Nachfrage. Solange z.B. die Fahrt zum Arbeitsplatz von Langlingen nach Celle mit dem ÖPNV täglich bis zu dreieinhalb Stunden dauert statt einer Stunde mit dem PKW, wird es nichts mit der Verkehrswende.

Zwar fordert auch die Bundes- und Landespolitik die Verkehrswende und die Stärkung des ÖPNV, ohne jedoch die dafür erforderlichen zusätzlichen Finanzmittel bereitzustellen. Immerhin stellt der Landkreis Celle nun eine zusätzliche Fachkraft ein, die sich explizit um die Verkehrswende kümmern soll.

CO2-Bilanz und Minderungsziele

Im Klimaschutzausschuss wurde im November eine Energie- und CO2-Bilanz mit Potenzialanalyse und Szenarien durch das Gutachterbüro e4 Consult vorgestellt. Mit ca. 3,8 Terrawattstunden (TWh) pro Jahr ist der gesamte Landkreis Celle – alle Kommunen, Unter­nehmen und Privathaushalte – mit ca. 0,15 % am deutschen Gesamtenergieverbrauch beteiligt. Bezüglich der Treibhausgasbilanzen in (CO2-Äqivalenten) werden 41 % des THG durch Erdgas, 34 % durch Treibstoffe (Benzin und Diesel), 12 % durch Heizöl und 10 % durch das im Strommix enthaltene THG erzeugt.

Heizen und Verkehr sind also die größten Hebel auf dem Weg zu THG-Null. Angesichts der geringen Zahl energieintensiver Industriebetriebe im Landkreis liegt der Anteil der privaten Haushalte am Energieverbrauch (46 %) dadurch deutlich über Bundes­durchschnitt (29 %). Interessant ist auch, dass die THG-Emission sich pro Kopf mit 4,8 t/a im Landkreis Celle über 50 % unter Bundesdurchschnitt bewegen. Das liegt daran, dass der im Landkreis erzeugte Strom (vor allem durch Windkraft- und Biogasanlagen) zu 79 % aus Erneuerbaren besteht. Das ist aber eine rein rechnerische Größe. Solange dieser vor Ort erzeugte Strom nicht direkt zum billigen CO2-freien Heizen mit Wärme­pumpen genutzt wird, fließt er eben in den gesamtdeutschen Strommix ein und wird teuer verkauft.
Als Minderungsziele beim Energieverbrauch gibt das Gutachten für den Landkreis Celle in der Summe über alle Sektoren 46 % an. Das entspricht bezogen auf den gesamtdeutschen Endenergie­verbrauch Szenarien wie denen von AGORA oder dem Fraunhofer Institut, die eine Halbierung des heutigen Verbrauchs für erforderlich halten.

Nicht nachvollziehbar in dem Gutachten von e4 Consult ist, dass das Minderungsziel bei den Sektoren Haushalt (–35 %) und Industrie (–23 %) sehr niedrig ausfällt und nur beim Verkehr (–73 %) in etwa dem AGORA-Szenario entspricht. Das zielt bei Gebäudewärme auf Einsparungen von 80 % und bei Industrie von 50 %.

Dem scheint die falsche Annahme vorauszugehen, dass auf Grundlage der vergleichsweise geringen 4,8 t/a Pro-Kopf-Emission nur jeweils ca. die Hälfte pro Sektor ein­spart werden müsste. Richtig ist dagegen: Für jeden Sektor gelten deutschlandweit energetisch dieselben Einsparziele, und bei den THG-Emissionen müssen wir überall auf Netto-Null kommen.

Der Energieverbrauch der landkreiseigenen Liegenschaften liegt bei ca. 32,6 GWh pro Jahr, wovon knapp 80 % auf Schulen und ihre Sportstätten entfallen. Dies ist genau der Bereich, in dem der LK bereits begonnen hat, systematische Einsparungen vorzunehmen. Bei den Zielvorgaben werden je nach Gebäudetyp Energieeinsparungen zwischen 34 % und 56 % vorgeschlagen. Damit würden Verbrauchswerte von gut 50 kWh/m2a bis knapp 70 kWh/m2a erreicht, aber nicht die in bundesweiten Szenarien angepeilte Marke von 40 kWh/m2a.

Klimaschutzkonzept bis Juli

In einem Workshop „Erneuerbare Energien“ zum Klimaschutzkonzept für den Landkreis Celle wurden die bereits oben erwähnten Daten zum Endenergieverbrauch im LK Celle vorgestellt. Der Zeitplan sieht jetzt eine Fertigstellung des Klimaschutzkonzepts inklusive Maßnahmen­katalog bis Ende Juli vor. Auch wenn die vorgestellten Daten zum Ist-Stand bei Energieverbrauch und THG-Emissionen z.T. noch nicht konsistent waren, wirkt sich dies letztlich nicht entscheidend auf die erforderlichen Maßnahmen aus. Denn überall in Deutschland und deshalb auch im LK Celle müssen die THG-Emissionen auf Netto-Null gesenkt werden, egal wie groß sie heute wo auch immer sind. Und das heißt auch für die Energie­versorgung: Sie wird zu ca. 95 % über regenerativen Strom erfolgen müssen (und selbst, wo Wasserstoff zum Einsatz kommt, muss er aus grünem Strom erzeugt sein).

Aktuell wird der Stromverbrauch im LK zu 70 Prozent durch Wind und PV abgedeckt und 7 % durch Biomasse (5 % Biogas und 2 % Holz). Abgesehen davon, dass Biomasse bis 2045 keine Rolle mehr spielt, müssen wir also zum einen auf 100 % erneuerbaren Strom kommen. Aber wir müssen ja auch den gesamten fossilen Energieverbrauch für Heizung und Verkehr durch hier produzierten erneuerbaren Strom ersetzen. Und das heißt: Bezogen auf den heutigen Strombedarf müsste sich die Erzeugung durch Wind und PV verdoppeln.

Und wie der Work­shop zeigte, stehen die Bewerber für Freiflächen PV-Anlagen und neue Windenergieanlagen im LK bereits Schlange. Doch der grüne Landesminister für Umwelt, Energie und Klimaschutz Christian Meyer, der den Zubau von LNG-Terminals innerhalb von drei Monaten bejubelte, gibt den Landkreisen und Kommunen für die „beschleunigte“ (!) Ausweisung von WEA-Flächen erstmal vier Jahre Zeit.

Im Gegensatz zu größeren Dachanlagen, wo „nur“ veraltete Bebauungspläne, Einspeiseprobleme ins Stromnetz und der Denkmalschutz bremsen können, ist ein beschleunigter Ausbau der Erneuerbaren Energien in der Fläche des LK deshalb äußerst ungewiss.

Quellen:
Klimaschutzkonzept für den Landkreis Celle / - Energie- und CO2-Bilanz - Potenzialanalyse und Szenarien / Dipl.-Ing. Dedo von Krosigk, e4-Consult
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal-Institut (2021): Klimaneutrales Deutschland 2045. Wie Deutschland seine Klimaziele schon vor 2050 erreichen kann - im Auftrag von Stiftung Klimaneutralität, Agora Energiewende und Agora Verkehrswende