Liebes Arschloch

Es ist ja nicht so, dass es nach Goethes „Die Leiden des jungen W.“ keine Briefromane mehr gegeben hat. Trotzdem dem ist ein bisschen überraschend, dass dieses Format gerade zwei neue Romane prägt: Juli Zehs und Simon Urbans „Zwischen Welten“ wie auch „Liebes Arschloch“ von Virginie Despentes. Und selbstverständlich sind es in beiden Fällen nicht Tinte und Papier, sondern der Gedankenaustausch läuft über email, messenger oder blogs.
Die französische Schriftstellerin hatte ja zuletzt mit der tempo- und zeitgeistreichen Romantrilogie „Das Leben des Vernon Subutex“ in Deutschland viele Leser:innen gewonnen. Mit „Liebes Arschloch“ wird sie diese nicht verlieren. Denn Despentes macht was sie kann: Über ihre spannenden Figuren Themen der Zeit reflektieren. Diesmal geht’s um #Metoo als Auslöser, Wege zu drogenfreiem Leben (u.a. in der Lockdown-Zeit), selbstverständlich um Herkunftsfamilien und Beziehungen … und viele andere große und kleine Dinge des Lebens. Na gut, nicht des Lebens „normaler Leute“, denn der männliche Protagonist ist ein erfolgreicher Romancier Mitte 40, die weibliche Haupt-Protagonistin eine mal sehr erfolgreiche Schauspielerin knapp über 50. Dazu kommt eine etwa 30-jährige Bloggerin, die die Übergriffe des Schriftstellers geoutet hat, den sie mal als Verlagsmitarbeiterin betreute. - Klingt irgendwie langweilig, denke ich gerade … ist der Roman aber nicht.

Despentes, Virginie: Liebes Arschloch. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023, 336 Seiten, Standort: Bestseller Roman

 

Wutschrift

Pia Klemp, Feministin, Kapitänin und Seenotretterin, fragt in ihrem Buch „Wutschrift. Wände einreißen, anstatt sie hochzugehen“, warum wir zuschauen, wie jeden Tag Menschen sterben, ganze Arten ausgerottet werden, Krieg, Terror und Hunger stattfinden – und das alles in einem unfassbaren Tempo. Und wir reagieren nicht emotional oder zornig, sondern erstellen lieber Excel-Tabellen. Warum? Wütenden wird unterstellt, nicht gesprächsbereit, konfliktfähig und reflexionsbereit zu sein. Es gilt als verrückt oder boshaft. Und wer darf wütend sein? Frauen schon mal gar nicht. Machtlose, Unterdrückte, Frauen könnten sich einfach nicht benehmen, heißt es, wenn sie ihre Wut heraus lassen. Wut ist gewissermaßen das moralische Eigentum weißer Männer. - Pia Klemp stellt all das in Frage. Sie findet, wir müssen endlich weniger Energie darauf verwenden, Ausflüchte und Entschuldigungen zu finden, sondern unsere Energie dafür freisetzen, die Probleme klar und deutlich zu benennen.

Sie thematisiert den grassierenden Rassismus, noch nicht erreichte Gleichberechtigung, die europäische Grenzpolitik und Umweltzerstörung.
Unbequem zu sein und es damit auch oft selbst unbequem zu haben, wäre die ehrliche Antwort auf eine brutale Realität.

Klemp, Pia: Wutschrift. Wände einreißen, anstatt sie hochzugehen. Ullstein, München 2022, 192 Seiten, Standort: Soz 135 / Aktuell

 

… und noch ein paar Neuerwerbungen

Elsberg, Marc: °C – Celsius. Blanvalet, München 2023, 512 Seiten, Bestseller Romane
Köhlmeier, Michael: Frankie. Hanser, München 2023, 205 Seiten, Bestseller Romane
Setz, Clemens J.: Monde vor der Landung. Suhrkamp, Berlin 2023, 519 Seiten, , Bestseller Romane
Zeh, Juli und Simon Urban: Zwischen Welten. Luchterhand, München 2023, 443 Seiten, Bestseller Romane

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Chakrabarty, Dipesh: Das Klima der Geschichte im planetarischen Zeitalter. Suhrkamp, Berlin 2022, 443 Seiten, Phil 169, SoP 2095
Charbonnier, Pierre: Überfluss und Freiheit. eine ökologische Geschichte der politischen Ideen. S. Fischer, Frankfurt am Main 2022, 506 Seiten, Neuerwerbungen Sachbuch
Chomsky, Noam und Marv Waterstone: Konsequenzen des Kapitalismus. Der lange Weg von der Unzufriedenheit zum Widerstand. Westend, Frankfurt/Main 2022, 464 Seiten, Neuerwerbungen Sachbuch
Cruschwitz, Julia und Carolin Haentjes: Femizide. Frauenmorde in Deutschland. Hirzel, Stuttgart 2022, 216 Seiten, Neuerwerbungen Sachbuch
Dahn, Daniela: Im Krieg verlieren auch die Sieger - nur der Frieden kann gewonnen werden. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2022, Bestseller Sachbuch