Zum 1. April 2025 muss der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Celle neu vergeben werden. Der dafür erforderliche Nahverkehrsplan soll am 28. Juni vom Kreistag verabschiedet werden, damit im Spätherbst die Ausschreibung in Gang gesetzt werden kann. Ein äußerst unglückliches Zeitfenster, weil die Auswirkungen des Deutschlandticket auf den ÖPNV in ländlichen Regionen derzeit kaum abschätzbar sind.

Was steht bisher fest? Die Ausschreibung soll in vier sogenannten Linienbündel erfolgen. Und zwar für die Stadt Celle sowie zusätzlich für „West“ (umfasst die Gemeinden Hambühren, Winsen und Wietze - und hat über Wolthausen bzw. Walle zwei Linien nach Bergen), „Nord“ (Stadt Bergen und die Gemeinden Südheide und Faßberg) und „Südost“ (Gemeinde Eschede sowie die Samtgemeinden Flotwedel und Wathlingen).

Der Gedanke dahinter: Bei einer derartigen Aufteilung ist es auch kleineren Unternehmen möglich, sich an der Ausschreibung zu beteiligen. Gleichzeitig entsteht eine Wettbewerbssituation, die sich für den Vergabeträger, also den Landkreis Celle, finanziell vorteilhaft auswirken kann.

Bedenken dahingehend, dass sich das hinsichtlich abgestimmter Informationen, Taktungen und Gebühren als problematisch erweisen könnte, hat die Kreisverwaltung zuletzt entkräftet. Zum einen mit Blick auf positive Erfahrungen in anderen Landkreisen, zum anderen durch den Hinweis, dass Kooperation in der Ausschreibung eingefordert wird.

Mit spürbaren Angebotsverbesserungen ist allerdings zunächst nicht zu rechnen. Der Entwurf zum Nahverkehrsplan, erstellt durch die Berliner Firma PROZIV, entwickelt keinerlei Fantasie, wie durch ein verbessertes Angebot die Nachfrage stimuliert werden könnte. Einzig für die Spät- und Wochenendverkehr sollen „bedarfsgerechte Bedienungserweiterungen“ geprüft werden und in einem Konzept münden. Das soll aber nicht Bestandteil der Ausschreibungen werden, sondern müsste dann nachträglich eingeführt werden. Hintergrund sind selbstverständlich die Finanzen. Schon für eine Verlängerung aller Linien bis 21 Uhr berechnen die Gutachter 400.000 Euro pro Jahr.

Klar, der ÖPNV ist in ländlichen Regionen seit langem ein Subventionsfall. Nur: Der Zuschussbedarf ist eigentlich „überschaubar“. Das gegenwärtige Aufwandsvolumen wird auf gut 10 Mio. Euro pro Jahr geschätzt. Gut 40 % davon werden durch die Fahrpreise eingespielt. Der Gesamtfinanzierungsbedarf seitens des Landkreises wird im Gutachten mit 5,85 Mio. EUR ausgewiesen, der allerdings durch unterschiedliche Finanzhilfen des Landes auf 2,73 Mio. EUR sinkt. Das sind 58,3 Cent je Nutz-km. (Nur zum Vergleich: Das Schlosstheater bezuschussen Stadt und Landkreis mit je rund 1,5 Mio. EUR.)
Positiv festzuhalten ist, dass die schrittweise Umstellung auf Elektrobusse Bestandteil der Ausschreibung sein wird. Bis 2028 sollen 80 % der eingesetzten Fahrzeuge emissionsfrei sein, bis 2035 der gesamte Fahrzeugbestand.

Bis Mitte Mai können im Beteiligungsverfahren die kreisangehörigen Städte und Gemeinden noch ihre Anregungen und Wünsche einbringen. Spannend könnte es da mit der Stadt Celle werden. Denn die hat sich eine eigene Mobilitätsanalyse anfertigen lassen, die aber – wieder mal ein gutes Beispiel für das Verhältnis zwischen Stadt und Kreis – der Kreisverwaltung bei der Vorstellung des Entwurfs des Nahverkehrsplans am 1. März offiziell nicht bekannt war. Wir haben es selbstverständlich zugespielt bekommen – hier ein Überblick:

Bei einer Bestandsanalyse kam das Berliner Büro Interlink GmbH zu folgendem Ergebnis:
1. ÖPNV-Angebot wird rege genutzt / Aber bei Erschließung, Linienführung, Taktung und Betriebszeiten deutliche Mängel
2. Radverkehr ist eine stark genutzte Mobilitätsoption, die weiter gefördert werden sollte

Oh, là, là – dafür braucht’s eigentlich kein Gutachten. Auch die anderen Aspekte kämen locker bei jedem Brainstorming heraus, also etwa hinsichtlich der Nachfrage:

• Starker Fokus auf Innenstadt, ergänzt durch dezentrale Stadtteilzentren
• PoI („Points of Interest“) bereits größtenteils durch Stadtbusnetz angebunden, Innenstadt als zentraler Ort gut erreichbar
• Schulstandorte gut angebunden, in zentrumsfernen Lagen mit starkem Hol- und Bringverkehr
• Arbeitsplatzstandorte tw. ungenügend erschlossen

Interessant aber ist die durchschnittliche Erreichbarkeit (mit mindestens 20 Abfahrten je Werktag in 600 m) in % der Bewohner:innen: Deutschlandweit liegt die Zahl bei 91,4 %, in Niedersachsen haben wir 85,7 %, im Landkreis Celle 87,9 % und in der Stadt 98,4 %.

Die Haltestellen-Erschließung im Stadtgefüge wird also für „gut“ befunden, es gäbe aber in Einzelfällen sehr lange Haltestellenabstände oder Erschließungslücken.

Wichtig: Die Betriebszeiten führen zu Nutzungshürden z.B. bei AKH und Pendleranschlüssen am Bahnhof. Arbeitsplatzstandorte werden teilweise nicht gut erschlossen, z.B.: Baker Hughes, OHE, Gewerbegebiete.

Die Haltestellensituation am Bahnhof wird, besonders für Ortsfremde als „verwirrend“ beschrieben. Durch den Umsteigezwang am Schlossplatz ergäben sich unattraktive Verbindungen in nördliche, südliche und östliche Stadtteile.

Aus einer sehr detaillierten Linienzählung ergibt sich eine klassische Nachfrageentwicklung, aufbauend Richtung City. Früh starke Schülerspitze, ebenfalls am Vormittag eine hohe Nachfrage, die am Abend deutlich sinkt.

Eher skurril mutet die Idee an, die Interlink auf Wunsch der Stadt weiterverfolgen soll – und zwar: Die abgelegenen Ortsteile wie Scheuen, Garßen oder Bostel (also „in der Fläche“) durch einen On-Demand-Verkehr an den Linienverkehr anzukoppeln. Wie soll das gehen? Mit dem Anruf-Sammel-Taxi vom Arloh nach Groß-Hehlen, um dort dann in den Linienbus umsteigen?

Wie sich die Stadt Celle auf Basis dieser Analyse in die Nahverkehrsplanungen des Kreises einbringen will, ist zum Redaktionsschluss offen.
Es zeichnet sich schon ab, dass mit dem Nahverkehrsplan und der Ausschreibung kein großer Sprung verbunden ist. Insbesondere deshalb, weil der Berufsverkehr (noch?) nicht ins Zentrum von Angebotserweiterungen rückt.

Der Entwurf zum NVP findet sich hier:
https://www.landkreis-celle.de/buergerinformationssystem/vo020.asp?VOLFDNR=5635