Protestfunke zündet

Die geplante Ansiedlung eines Geflügelschlachthofes in Wietze hat viele Menschen im Landkreis Celle in ungeahnte Proteststimmung versetzt. Und das betrifft nicht allein das ehemalige Erdöldorf. In vielen Gemeinden wird eine Ansiedlung von Geflügelmastställen befürchtet.

Landrat Wiswe und die „große Koalition“ der Befürworter aus CDU/SPD/FDP dürften mit derartigem Widerstand kaum gerechnet haben. Zumal es inzwischen auch in den eigenen Reihen erheblich knirscht. Als im vergangenen Herbst durchsickerte, dass die Firma „Celler Land Frischgeflügel GmbH“ in Wietze einen Geflügelschlachthof ansiedeln will, gingen in Wietze sofort viele Bürger_innen „auf die Barrikaden“. Selbstverständlich geht es ihnen um die befürchteten negativen Einflüsse vor ihrer Haustür. Angesichts der Dimension des Projekts dauerte es aber nicht lange, bis klar war: Durch die erforderliche Ansiedlung von Geflügelmastställen droht eine Emslandisierung der Region.

Die Fakten, die seit Februar auf dem Tisch liegen sprechen eine deutliche Sprache über die Schlachtkapazität:

27.000 Tiere in einer Stunde, 432.000 Tiere am Tag, 2.592.000 Tiere in der Woche, 134.784.000 Tiere im Jahr

Zu Anfang der Diskussion war noch von einer Million Tiere pro Woche die Rede. Mit den neuen Zahlen verdoppeln sich selbstverständlich die Probleme: Statt der bisher prognostizierten 150 Mastställe kann jetzt von über 400 Mastställen ausgegangen werden, die im ehemaligen Regierungsbezirk Lüneburg entstehen müssten. Der Verkehr auf der B214 wird nicht mit 100 LKW zusätzlich belastet, sondern mit mindestens 200 LKW pro Tag für An- und Abfahrt.
Vor diesem Hintergrund hat die Bürgerinitiative Wietze durchaus Chancen dem Arbeitsplatzargument zu trotzen. Die BI vertraut darauf, in Wietze eine Mehrheit gegen das Projekt mobilisieren zu können. Sie hat ein Bürgerbegehren eingeleitet. Dafür müssen zunächst mindestens 657 Unterschriften vorgelegt werden (10 % der Wahlberechtigten der letzten Kommunalwahl). Da das Bürgerbegehren sich sehr konkret auf eine von der Gemeinde zu entscheidende Frage beziehen muss, lautet die Überschrift "Kein Gemeindekredit für den Schlachthofinvestor in Wietze". Konkret wird gefragt: "Sind Sie dafür, dass die Gemeinde Wietze die Ansiedlung eines Großschlachtbetriebs im Gemeindegebiet in der Form unterstützt, dass sie dem Investor einen befristeten Kredit zum Erwerb des Gewerbeareals zur Verfügung stellt?"

 

Hintergrund:

Der Gemeinderat hatte im Dezember beschlossen, Rothkötter zur Realisierung des Vorhabens einen "Zwischenkredit" von 1,23 Millionen Euro zum Erwerb des Grundstücks zur Verfügung zu stellen, von dem der Landkreis 75 Prozent und die Gemeinde 25 Prozent tragen. Nach Bewilligung der Investitionsförderung durch das Land Niedersachsen wäre der Kredit vom Investor zurückzuzahlen. Bekommt das Bürgerbegehren binnen drei Monaten die erforderliche Zahl an Unterstützerunterschriften, muss die Gemeinde einen Bürgerentscheid durchführen. Um diesen zu gewinnen, muss an den Urnen eine Mehrheit erreicht werden, wobei mindestens 25 % der Wahlberechtigten sich beteiligen müssen. Damit wäre die Ansiedlung des Geflügelschlachthofes in Wietze zwar längst nicht gekippt; aber auf den Investor dürfte es dann schon Eindruck machen, dass er nicht gewünscht wäre.

Die Befürworter geben währenddessen nicht gerade eine gute Figur ab. Auf dem Neujahrsempfang der Wietzer CDU machte Landwirtschaftsminister Hans-Heinrich Ehlen dicke Backen. Gegenüber der Kritik solle man „auf stur schalten“. Und er prognostizierte, dass sich durch den Geflügelschlachthof die Zahl der Erwerblosen im Landkreis Celle halbieren lasse. Eine Steilvorlage für den SPD-Landtagsabgeordneten Rolf Meyer.
Er fragte die Landesregierung: „Wie viele Menschen sind aktuell im Landkreis Celle arbeitslos, und in welchen Bereichen sollen so viele Arbeitsplätze entstehen, dass die Arbeitslosigkeit halbiert werden kann?“

Die „Antwort“ verweigert mit einer schnöseligen Arroganz jegliche Antwort. „Die Arbeitslosigkeit im Landkreis Celle stieg [...] auf 7293 Arbeitslose im Dezember 2009. [...] Deshalb ist es umso wichtiger, wirtschaftliche Perspektiven zu schaffen, und vor diesem Hintergrund sind auch die Äußerungen von Minister Ehlen zu verstehen.“

Die Befürworter_innen richten sich derweil nach der Losung des Ministers und schalten auf stur. Der Wietzer Gemeinderat hat Anfang März mit deutlicher Mehrheit die Bauleitplanung für die Ansiedlung abgesegnet. Einzig Claus Friedrich Schrader (Bündnisgrüne), Sabri Kizilhan (Linke) und als Abweichlerin Eva Ehry (SPD) stimmten dagegen. Die BI protestierte während der Ratssitzung äußerst phantasievoll: schwarz gekleidet und mit Mundschutz zeigte sich eine deutliche Mehrheit der Besucher_innen – um nach der Entscheidung geschlossen den Saal zu verlassen. Ab Mitte März haben jetzt die Bürger_innen für vier Wochen die Gelegenheit, Einwendungen zu erheben. Danach werden sich die Wietzer Gremien erneut mit der Bauleitplanung befassen. Für die Baugenehmigung muss schließlich noch der Kreistag die Änderung des Flächennutzungsplanes genehmigen. Andere Mehrheiten sind nicht zu erwarten. Schrader hat derweil die Gruppenbildung mit der SPD aufgekündigt und sich mit Sabri Kizilhan zu einer Gruppe im Rat zusammengeschlossen.

In Winsen sind die Friktionen sogar gravierender:

Dort brach die im Rat aus CDU und FDP gebildete Gruppe auseinander. Ein Grund: Die drei FDPRatsmitglieder sind im Unterschied zur CDU gegen die beabsichtigte Wasserentnahme im Bannetzer Moor. Und vielleicht noch bemerkenswerter: Die CDURatsmitglieder Dorothea Voßberg-Berger und Rainer Potratz haben Fraktions- und Parteimitgliedschaft aufgekündigt, um gemeinsam mit den Bündnisgrünen im Rat eine so genannte Zählgemeinschaft zu bilden.
In vielen Landkreisgemeinden geht derweil die Angst vor der Ansiedlung von Mastanlagen um. In Lachendorf gründete sich eine Bürgerinitiative (BILA) für Tier- und Umweltschutz. Der Samtgemeinderat beschloss eine (von der SPD) beantragte Resolution gegen die Errichtung von Massentierhaltungsanlagen im Samtgemeindegebiet. Die Stadt Celle macht sich pragmatisch daran mit der Ausweisung so genannter Konzentrationszonen einem möglichen Wildwuchs zu begegnen. Erste Anfragen zur Genehmigungsfähigkeit von Mastställen seien bereits eingegangen, heißt es aus dem Rathaus.

Kurz nach Redaktionsschluss offenbarten sich sogar große Risse in der SPD. Sie hatte sich bisher sowohl im Kreistag wie im Wietzer Gemeinderat deutlich für die Ansiedlung des Schlachthofes positioniert. Angesichts der Beunruhigung in der Bevölkerung scheint man kalte Füße zu bekommen – oder in Teilen zur Einsicht zu kommen. Die SPD-Stadtratsfraktion beantragte, eine Folgenabschätzung durchführen zu lassen. Untersucht werden sollen die „Auswirkungen auf die Wasserreserven im Stadtgebiet, die Auswirkungen der zu erwartenden erhöhten Verkehrsbelastungen und insbesondere die Auswirkungen auf die Tourismuswirtschaft“. In der Begründung wird unter Berufung auf den Geschäftsführer der Lüneburger-Heide-GmbH, Ulrich von dem Bruch, auf die Gefahren für die Tourismuswirtschaft in der gesamten Region hingewiesen. Der wollte das nun nicht so gesagt haben – was aber nichts daran ändert, dass die mit den Mastställen einkehrende „Landluft“ nicht das ist, was sich die Tourist_innen von ihr erhoffen. Weiter heißt es bei der SPD: „Diese möglichen negative Auswirkung auf die Übernachtungszahlen hätten wiederum zwangsläufig für unsere Stadt erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitsplatzsituation im Hotel- und Gaststättengewerbe der Stadt Celle zur Folge. Hier würden insbesondere Normalarbeitsplätze als, auch vermehrt sehr qualifizierte Arbeitsplätze zur Disposition stehen.“

Einen ersten Erfolg haben die Proteste also: Die SPD scheint zu kippen. Weitere Infos unter: http://www.bi-wietze.de