Landkreis - pfui! Stadt Celle – hui!?
„Die Menschheit befindet sich vor einer großen Entscheidungsfrage: den Weg des Kapitalismus, der Plünderung und des Todes fortzusetzen oder den Weg der Harmonie mit der Natur und der Achtung vor dem Leben einzuschlagen.“
Dieser Satz aus dem Abschlussdokument des alternativen Umweltgipfels von Cochabamba klingt pathetisch – aber ist es nicht so? In der Zeitschrift Nature läuft eine Debatte über die Überschreitung von „planetary boundaries“, der „Grenzen des Planeten“, und konstatiert wurde: Beim Klimawandel, beim Verlust der Biodiversität und beim Nitrat- und Phosphoreintrag in der Landwirtschaft sind die kritischen Schwellenwerte überschritten. Ein „Neustart“ ist insoweit mittlerweile ausgeschlossen.
Das macht eine radikale Klimapolitik nicht überflüssig, sondern umso dringlicher. Die Bedeutung der lokalen Ebene hob die im Juni 2008 von den kommunalen Spitzenverbänden verabschiedete Erklärung „Global denken, lokal handeln“ hervor: „Der Klimaschutz ist eine unserer größten Herausforderungen für die Zukunft. Den Kommunen kommt dabei eine herausragende Rolle zu.“
In Kreistag und Stadtrat hatte DIE LINKE/BSG im Mai 2009 die Verwaltungen aufgefordert, Klimaschutzkonzepte zu entwickeln. Die Kreisverwaltung brauchte ein knappes Jahr, um jetzt mitzuteilen: „Eine Zuständigkeit des Landkreises Celle für den Klimaschutz im gesamten Kreisgebiet besteht kommunalverfassungsrechtlich nicht.“ Da das die CDU/FDP-Mehrheit genauso sah, ist das Thema für den Kreistag eben keins. Ein Satz wie der von Umweltminister Sander bleibt so das, was er ist – Teil einer Sonntagsrede: „Für die Niedersächsische Landesregierung sind die Kommunen die wichtigsten Akteure im Klimaschutz, denn Klimaschutz beginnt auf der lokalen Ebene."
Selbstverständlich macht die Kreisverwaltung das Übliche, also z.B. bei Gebäudesanierungen energetische Faktoren zu berücksichtigen. Aber man setzt sich kein Ziel; weshalb man eben auch keine Strategie, kein Konzept braucht, um Zielvorgaben zu erreichen.
Wolf Wallat (Die LINKE) kritisierte das Desinteresse der Verwaltungsspitze: „Es hat mit einem angemessen Herangehen an Zukunftsfragen nichts zu tun.“ Er verwies darauf, dass der Bund für die Erstellung eines kommunalen Klimaschutzkonzeptes 60 % der Kosten erstattet. „Vor diesem Hintergrund ist die Verweigerungshaltung einfach nur noch ignorant zu nennen“, so Wallat.
Die Stadtverwaltung brauchte noch länger als die Kreisverwaltung. Der Klimaschutz steht am 1. Juni auf der Tagesordnung des Ausschusses für öffentliche Einrichtungen und Umwelt. Nach der uns kurz vor Redaktionsschluss vorliegenden Beschlussvorlage will die Verwaltung tatsächlich in den nächsten 12 Monaten etwas auf die Beine stellen, dass Klimaschutzkonzept genannt werden kann. Noch in der Ratssitzung im Juni soll beschlossen werden:
„1. Die Verwaltung wird beauftragt, ein Integriertes Klimaschutzkonzept für die Stadt Celle wie vorgestellt zu erarbeiten und den Ratsgremien bis zum Sommer 2011 zur Beratung und Entscheidung vorzulegen.
2. Parallel zu diesem Prozess wird, wie oben angeführt, die Umsetzung weiterer Maßnahmen und Meilensteine angestrebt; insbesondere wird ein Teilkonzept Energieeinsparung und Nutzung regenerativer Energiequellen in städtischen Gebäude- und Technikbereich erarbeitet und dabei die Geothermienutzung zu einem Schwerpunktthema erklärt. Für dieses Teilkonzept wird vorbehaltlich eines 60 % Finanzierungsanteils aus dem Klimaschutzprogramm des Bundes eine qualifizierte Ingenieurkraft eingestellt. Alternativ prüft die Verwaltung die Beauftragung eines Fachbüros.
3. Um die Ratsgremien in den Prozess aktiv einzubeziehen und einen ständigen Informationsfluss zu gewährleisten wird ein Beirat mit Vertretern der im Rat vertretenen Fraktionen eingerichtet.“
Das ist, auch wenn die Verwaltung dies nicht beim Namen nennt, eine punktgenaue Umsetzung des Ratsantrages der Fraktion Die Linke/BSG.
Der Beschlussvorlage beigefügt ist eine Aufstellung kommunaler Handlungsfelder, wobei keiner der wesentlichen Aspekte fehlt. Aber ans Eingemachte geht es sowieso erst, wenn im weiteren Verlauf etwa über die Konkurrenz von ÖPNV und PKW-Verkehr zu reden ist. Ein bisschen zu kurz kommt auch die Einbindung und Aktivierung der Gesellschaft z.B. über Bürgersolarprojekte. Aber da kann der von der Verwaltung skizziert Ablauf des Projekts hoffen lassen:
Juli – August 2010: Istanalyse und Energie- und CO2 – Bilanz (Istanalyse der bisherigen Aktivitäten durch die Verwaltung, Energie- und CO2 – Bilanz unter Beteiligung eines externen Fachbüros). Damit sollen Schwächen aufgedeckt und lokale Potentiale in Celle ermittelt werden. Die Bilanz soll zukünftig eine Evaluation und Qualitätssicherung von Maßnahmen ermöglichen.
August/September 2010: Potentialbetrachtung (zeigt Einsparpotentiale, schätzt wirtschaftliche Potentiale für erneuerbare Energien ab, liefert konkrete Anhaltspunkte für die Planung).
Oktober/November 2010: Öffentliche Auftaktveranstaltung/ Markt der Ideen (Workshops zur Erarbeitung der Leitbilder und Ausrichtung der Themenfelder in Celle; Expertenrunden, Konsultationsprozess)
Dezember 2010: Beratung der Ergebnisse in den Ratsgremien/Verabschiedung der Leitbilder zum Klimaschutz in Celle.
Januar/Februar 2011: Erneuter Konsultationsprozess, Expertenrunden, fachinterner Abstimmungsprozess.
März bis Mai 2011: Erarbeitung des Konzeptentwurfs unter laufender Beteiligung von Experten, Institutionen und Akteuren.
Juni 2011: Vorstellung des Konzeptentwurfs/Beschluss des Stadtrates (Klausurtagung).
Dieser Ablaufplan macht deutlich, dass eine Tür geöffnet werden soll für die Beteiligung und das Engagement von Bürger_innen. Wie ernst gemeint das ist, muss sich zeigen. In der Vergangenheit waren städtische Leitbilddiskussionen ja eher Alibiveranstaltungen. Aber: Wenn Celle „Energiewendestadt“ werden will, geht das nicht ohne Engagement aus Teilen der Stadtgesellschaft.
Das wird nicht einfach. Bis auf wenige kleine Gruppen wie die Greenpeace-Jugend oder das Forum gegen Atomenergie gab es im neuen Jahrhundert keine (Bürger-) Initiativen, die das Thema „Klimaschutz“ angepackt hätten. Das ist kein Celler Sonderfall: Es gibt kaum ein Problem von solcher Wirkmacht, das so wenig Proteste und Aktivitäten hervorruft. Die allermeisten gesellschaftlichen Anstrengungen, so der Sozialpsychologe Harald Welzer, richteten sich darauf, „die Symptome verschwinden zu lassen und das Funktionieren zu simulieren.“
Statt einer gesellschaftlichen Diskussion ist individuelles Handeln vorherrschend: Denn selbstverständlich werden Solarkollektoren und Photovoltaik-Anlagen nicht ausschließlich aus ökonomischen Gründen installiert, sondern ebenso aus ökologischen. Selbstverständlich werden Wärmeschutzstandards bei Haussanierungen nicht allein um des pekuniären Einspareffekts durchgeführt, und selbstverständlich gibt es Konsument_ innen, die aus Klimaschutzgründen vorwiegend regional einkaufen. Doch sie verbinden sich nicht zu einer Bewegung, die gesellschaftliche Hegemonie anstrebt.
So ist selbst unter Interessierten das in England entstandene “Transition Town Movement“ kaum bekannt; dort sind in den letzten Jahren in mittlerweile 30 Kommunen Graswurzel-Initiativen entstanden, die in Sachen Klimaschutz nicht mehr länger auf Politik und Verwaltung warten wollen und sich der Frage stellen: „Wie kann man eine Kommune so organisieren, dass sie so effizient, energiesparend und ausfallsicher funktioniert wie ein natürliches Ökosystem und ihre Bewohner trotzdem ein zufriedenes Leben führen können, ohne Mangel zu leiden?“
Das wäre Voraussetzung und der Anfang für einen gesellschaftlichen „Wertewandel“. Und dann würde eine Kommunalpolitikerin wie Amei Wiegel der CZ vielleicht nicht mehr so ungeniert von der Unbill berichten, die ihr der Eyjafjallajökull bereitete. Ihr Rückflug von einem neuntägigen Entspannungsurlaub am Golf von Neapel scheiterte an der Vulkanasche. Zurück ging’s mit der Bahn – „strapaziös“ für die SPD-Politikerin, aber weit weniger für das Klima. – Und ist es nicht wirklich an der Zeit, darüber nachzudenken, ob der Wunsch nach kurzzeitiger Entspannung wirklich nur zu haben ist, indem Klima und Umwelt derart gestresst werden?