“Ach, Cridle, unser Geschäft ist blutig!“

* aus Brecht, Die heilige Johanna der Schlachthöfe

Etwas vorschnell verkündete Mitte April die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL): Das Schlachthofprojekt des Geflügelkonzerns Rothkötter in Wietze gerät ins Wanken. Als Gründe wurden genannt: die zunehmende Skepsis landwirtschaftlicher Interessenten, eine deutlich absehbare Überproduktion und massiver Widerstand von mehr als 20 regionalen Bürgerinitiativen. Nicht ohne Grund – hieß es weiter in der Pressemitteilung - suche der Futtermittel- und Schlachtkonzern nunmehr auch Vertragsmäster außerhalb des zunächst angepeilten 100-Kilometer-Umkreises von Wietze. „Die Welle von agrarindustriellen Hähnchenmastanlagen droht weiter“, so AbL-Sprecher Eckehard Niemann, „aber der Widerstand des neu gegründeten Netzwerks Bauernhöfe statt Agrarfabriken zeigt [...] bereits eine deutliche und ermutigende Wirkung.“ - Franz- Josef Rothkötter dementierte gegenüber der CZ schnell die von der AbL kolportierte zeitliche Verschiebung. Er halte an den Plänen fest und sehe keinen Grund für eine Verzögerung des Projekts.


Verfahren laufen wie am Schnürchen ...

In den kommunalen Gremien und auch auf Landesebene läuft es ja auch. Ende April hat die Mehrheit des Gemeinderates Wietze aus CDU/FDP und SPD die verwaltungsrechtlichen Voraussetzungen vorangetrieben. Die von Bürger_innen und Behörden vorgetragenen Einwendungen und Stellungnahmen zur Veränderung des Flächennutzungsplanes und der Bebauungspläne wurden beraten und der erforderliche „Beschluss über die Durchführung des förmlichen Verfahrens“ gefasst.

In einer Pressemitteilung teilten die „Nein-Sager“ Claus Friedrich Schrader (Bündnisgrüne) und Sabri Kizilhan (Die Linke) mit: „Die öffentliche Diskussion im Infrastrukturausschuss machte allen [...] exemplarisch deutlich, wie gering, fast aussichtslos, die Möglichkeiten von engagierten Bürgern einer Gemeinde sind, allein mit der Teilnahme an einem formalen Beteiligungsverfahren gegen die Ansiedlung eines als unerwünscht geltenden Industrieprojektes zum Erfolg zu kommen. […] Geblieben ist für die Zuhörer und Einwender der bleibende Eindruck der Ohnmacht gegenüber vorherrschenden, unverrückbar erscheinenden Positionen in einer politischen Machtposition.“ Als Beispiele führen sie u.a. an: „Die baurechtlichen Planungen werden derzeit in einem “normalen” baurechtlichen Verfahren abgewickelt. Zahlreiche Einwender haben angesichts der offensichtlichen “Raumbedeutsamkeit” der geplanten Schlachtanlage und dem damit unmittelbar im Zusammenhang stehenden Bau von Hunderten von Maststallanlagen in ihren Stellungnahmen die Forderung nach der förmlichen Durchführung eines Raumordnungsverfahrens (ROV) erhoben. Das Ziel der Forderung ist die dringende Notwendigkeit zur Prüfung aller möglichen Wechselwirkungen auf Mensch, Natur und Umwelt, die von der Kombination Großschlachterei/Mastställe ausgehen.“

... und die Mastställe bleiben außen vor

Der wenig später stattfindende Erörterungstermin nach dem Bundesimmissionschutzgesetz gab wenig Anlass zur Hoffnung darauf, dass das Projekt auf dem Wege der so genannten Bürgerbeteiligung gestoppt werden kann. Zwar hatten über 250 Antragsteller_innen Einwände erhoben. Aber das zuständige Gewerbeaufsichtsamt Lüneburg sah nur die Notwendigkeit, in Detailfragen „nachzubessern“. Vor allem aber: Die Diskussion um Mastanlagen habe im Genehmigungsverfahren für den Schlachthof nichts zu suchen. - Im Rahmen der Bauleitplanung kommen demnächst die Einwände der Bürger_innen erneut auf den „Prüfstand“, auch wird es noch ein Verfahren zum Wasserrecht geben, für das der Landkreis Celle zuständig ist.

Scheitern kann das Projekt nur auf der ökonomischen Ebene. Und da spielt in der Tat die Zahl der Mastställe die entscheidende Rolle. Hier hatte die Landesregierung zwischenzeitlich mit einer grotesken Verordnung versucht, Hürden aus dem Weg zu räumen. Sie erfand „fiktive Wälder“.

Von „fiktiven Wäldern“ und offenem Lobbyismus

Bei der Genehmigung von Geflügel-Mastbetrieben ist gesetzlich ein Mindestabstand von 150 Metern zu Wäldern erforderlich. Damit soll die Umwelt vor dem immensen Aufkommen an Stickstoff und Ammoniak geschützt werden. Nun könnte man den störenden Wald ja einfach abholzen, wenn er einem gehört. Das wäre aber schade, fand das Landwirtschaftsministerium. Also schuf man eine Verordnung. Die sah – vereinfacht gesprochen – folgendes vor: Der potenzielle Investor beantragt die Abholzung und wenn daraufhin der Bauantrag für die Stallung genehmigt wird, kann er den Wald einfach stehen lassen. Durch die Verordnung wäre der reale Wald zu einem „fiktiven Wald“ geworden, der nicht mehr stört. Voll und ganz im Öko-Trend sollte dann der „fiktive Wald“ in großen Teilen als Ausgleichsfläche für den fiktiv abgeholzten Wald gelten.

Die Bündnisgrünen im Niedersächsischen Landtag fanden allerdings, es könne keine fiktiven Wälder geben – entweder es gebe sie oder eben nicht. Ein vom Landtagsabgeordneten Christian Meyer beantragtes juristisches Gutachten bestätigte dies. Der Gesetzgebungsund Beratungsdienst des Landtags (GBD) befand die Erteilung einer sogenannten fingierten Waldumwandlungsgenehmigung schlicht als illegal. Und die Verordnung verstoße gegen einfachste Denkgesetze, so der GBD: „Wenn die Umwandlung des Waldes genehmigt wird und dieser stehen bleibt, ändert sich an der ökologischen Belastungssituation für den Wald nämlich nichts.“

Die Verordnung wurde zurückgenommen. Der Celler Landtagsabgeordnete Karl-Heinrich Langspecht (CDU) räumte gegenüber der CZ ein, dass der Erlass rechtswidrig war, fand jedoch: „Der pragmatische Ansatz war aber richtig.“

Agrarminister Hans-Heinrich Ehlen überließ die Verkündung der Rücknahme dann schon „Umweltminister“ Sander. Denn er musste seine Koffer packen. Sein Job wurde neu besetzt. Von einer Lobbyistin für Massentierhaltung, die sich den Hähnchen-Highway an der A7 zu einer Herzensangelegenheit machen wird: Die neue Landwirtschaftsministerin Astrid Grotelüschen leitete in ihrem Heimatort Großenkneten lange die zweitgrößte Mastputen-Brüterei Deutschlands und war dort zuletzt als „Beraterin“ tätig. Die Tierrechtsorganisation PETA sieht in ihrer Ernennung eine Kampfansage des Landes an die Tierrechts-, Umweltschutz- und Demokratie- Bewegung. „Wer aus der Puten-Industrie kommt, akzeptiert die dortigen grausamen Verhältnisse, die systemimmanenten Qualzuchten, die hohen Mortalitätsraten, Transportverluste und die Tatsache, dass bis zu 97 Prozent der Tiere der gängigsten Mastputenrassen am Ende der Mastperiode nicht mehr richtig laufen können – überzüchtet auf unnatürlich schnelle Gewichtszunahmen und ständige Qualen“, fasst der Agrarwissenschaftler und wissenschaftliche Berater von PETA, Edmund Haferbeck, die Kritik an der Ernennung Grotelüschens zusammen.

„Das Tier ist uns auch anvertraut zum Essen.“

Inzwischen sah sich sogar die evangelische Kirche als Moderatorin gefragt. Sie bot Ende April im Urbanus Rhegius Haus zum Thema "Moderne Landwirtschaft und Konfliktfelder gesellschaftlicher Wahrnehmung" mit Clemens Dirscherl den Beauftragten der EKD für agrarsoziale Fragen auf. Er sollte mit seinem Vortrag zu einer „wertegestützten Entscheidung“ beitragen. Das von ihm aufgezeigte Raster war am Ende aber so tauglich wie ein Tauchsieder für die Herstellung von Eis. Zwar sprach er vom Eigenwert jeden Geschöpfs und dessen abzulehnender Verdinglichung, um im nächsten Satz zu sagen: „Das Tier ist uns auch anvertraut zum Essen.“ Für Dirscherl lässt sich, so der Anschein der allermeisten Besucher_innen, jeder (Werte-)Konflikt in einen Kompromiss auflösen. Die Basis seiner Argumentation war, dass es nun mal eine weltweit steigende Nachfrage nach Fleisch gebe. (Woran der Muselmann nicht ganz unschuldig ist, schenkt man Herrn Dirscherl Glauben.) Und da soll dann das Abwägen anfangen: Ist nicht das Geflügel wegen seiner im Vergleich zu Rind und Schwein geringen Getreideumwandlung nicht diesen vorzuziehen? Sicher: Geflügel brauche unheimlich viel Wasser und habe den unschönen Nebenaffekt von Luft- und Geruchsbelastung, aber – so der Referent – da könne man doch mit Technik vieles abschwächen.

Das ganze Ethik-Getue lief unterm Strich darauf hinaus, dass, wo Fleisch gegessen wird, es auch produziert werden muss. Klar wurde: Eine ethische Diskussion, die unsere Art zu leben für unverrückbar hält, führt zu nichts anderem als Rechtfertigungsphrasen.

Dass die Veranstaltung nicht gänzliche Zeitverschwendung war, ist dann vor allem dem „Setting“ geschuldet gewesen. Eingeladen war nämlich auch ein Podium, besetzt mit: Uschi Helmers (BI Wietze), Rolf Meyer (SPD) und Kreislandwirt Jürgen Mente. Dies war insoweit kurios, als auch Uschi Helmers SPD-Mitglied ist. Da wurde den Teilnehmer_innen dann der Zwiespalt geboten, in dem die lokale SPD steckt. Die Bürgerinitiativ’lerin hatte einen Haufen guter Argumente gegen die „Emslandisierung der Region“ - im Unterschied zu Rolf Meyer, der für die SPD im Agrarauschuss des Landtages sitzt und deshalb eingeladen war; denn der findet grundsätzlich weder den Schlachthof noch die Mastställe schlecht („Bei bis zu 10 im Landkreis Celle sehe ich kein Problem.“).

Im Runterspielen der Dimension geübt zeigte sich auch Kreislandwirt Jürgen Mente, der die dörfliche Verankerung und den bäuerlichen Charakter der Betriebe im Landkreis betonte. Im Unterschied zum aggressiven Ton, den er in den ersten Veranstaltungen angeschlagen hatte, scheint er auf einen Kurs der Verschleierung eingeschwenkt zu sein. Zu einer Drohung war er aber im Stande: Wenn man die Celler Landwirte hindern würde, stünden im Emsland schon Großinvestoren bereit – die Einrichtung von Vorranggebieten, die einige Gemeinden betreiben, deutete er als Wegbereitung.

Warum eine „Ethikdiskussion“ unter dem Dach einer kapitalistischen Ökonomie letztlich unnütz ist, machte noch der Schlussbeitrag des moderierenden Superintendenten, Hans-Georg Sundermann, deutlich: Wir alle sollten doch bitte als Konsument_innen mehr darauf achten, was wir verzehren.

Das kann sicher nicht schaden – nur das konkrete Schlachthofprojekt und die damit verbundenen Mastställe werden dadurch nicht gekippt! Das Problem mit dem Bildungsbürgertum ist, dass es nichts lernen will, z.B. aus Brechts ja themennaher „Heiligen Johanna der Schlachthöfe“: Ihr wenigstens geht am Ende auf, dass die Welt nicht „schlecht“ ist, weil der Mensch „schlecht“ ist. Sondern dass die gesellschaftliche Totalität ihm nur wenig Chancen lässt, anders zu sein, als er ist. Und ab da geht’s eben um die gesellschaftlichen Verhältnisse.