Selten war mehr Krise. Und während sich die herrschenden Klassen um die Rettung des Kapitalismus und ihrer Profite mühen, verschwindet die Klimakrise von der Agenda der Regierungen. Kopenhagen war ein Desaster, und was von deutschen Musterschüler_innen zu erwarten ist, zeigt deutlich der Düsseldorfer Koalitionsvertrag:

Während die Bundesregierung die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren will (was ihr niemand mehr glaubt), begnügt sich die rot-grüne Minderheitsregierung in NRW mit 25 Prozent. RWE scheint mit am Verhandlungstisch gesessen zu haben.

Wir müssen es also mal wieder selber machen. Ein ermutigendes Beispiel schwappt gerade von der Insel rüber auf den Kontinent: das Transition Towns Movement. Von Kiel über Bielefeld, Hannover und Göttingen, Freiburg und München sind zuletzt etliche  Transition Town Initiativen in Deutschland entstanden. Was sie eint, ist die Bezugnahme auf das von Rob Hopkins entwickelte Konzept der Energiewendestadt. Als Dozent für ökologisches Bauen und Permakultur rief er 2006 in der britischen Gemeinde Totnes die erste Transition Town Initiative ins Leben. Ihm ging es darum, in diesem Mikrokosmos den Übergang in eine postfossile und re-lokalisierte Wirtschaft zu erforschen und zu beginnen: Wie lassen sich gesellschaftliche Systeme so effizient und energiesparend  organisieren wie Ökosysteme?


Welche Voraussetzungen zu bedenken sind und welche Erfahrungen die Beteiligten machen, hat Hopkins in dem „Energiewendehandbuch“ beschrieben. (Ein Interview mit ihm auf den folgenden Seiten, eine Besprechung des „Energiewendehandbuch“ auf Seite 7 der revista Nr. 50.) Doch der Begriff „Energiewende“ greift zu kurz. Im Kern geht es um eine Änderung des „Lebensalltags“, der in den industrialisierten Ländern ohne Öl kaum vorstellbar ist. Aber mit „Peak-Oil“, also dem globalen Fördermaximum der stofflichen Grundlage des kapitalistischen Entwicklungsmodells, ist ein weiterer Wendepunkt schon – oder in wenigen Jahren – erreicht. Dass und wie dies die kapitalistische Krise verschärft, ist vorstellbar.Deshalb ist „Transition Town“ eng verbunden mit einer Kritik am  Wachstumsfetischismus, also der ideologischen Basis „unseres“ Wirtschaftens. Nun mag die Aufforderung „consum less“ (weniger konsumieren), angesichts der zunehmenden Armut auch in den Metropolen sarkastisch klingen. Es wäre also darauf zu achten, dass eine derartige Losung nicht die „Kürzungsorgien“ der Regierungen stützt, sondern das Leben als „Plastic People“ (Frank Zappa) ins Visier nimmt. Das Ganze mutet ziemlich hippieesk und weltabgewandt an. Und in der Tat sind internationale und nationale Politik nicht unbedingt Adressaten der Transition Town Bewegung. Im Zentrum steht das gesellschaftliche Experiment vor Ort und im Rahmen der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung. Und auch die Eigentumsordnung wird eher subversiv thematisiert: durch die Orientierung eigener Projekte am Genossenschaftswesen und der Stärkung kommunaler Versorgungsbetriebe. Wer aber meint, es handele sich um eine rückwärtsgewandte und kulturpessimistische Spielwiese, irrt. Selbstverständlich fühlen sich auch agrarromantische Charaktere davon angezogen; aber es geht nicht um ein Zurück in Zeiten vor dem Öl, sondern um Gesellschaftsmodelle für die Zeit nach dem Öl. Ihr zentrales Merkmal wird die Dezentralität sein und damit ein Problem realsozialistischer
Modelle aufheben. Deshalb sollte diese Bewegung auch für eine anti-autoritäre Linke von Interesse sein.

Der Celler Rosa Luxemburg Club hat kurz vor Erscheinen dieser Ausgabe eine Informationsveranstaltung zum Thema „Transition Town“ mit dem hannoverschen Sozialwissenschaftler Thomas Köhler durchgeführt. Vielleicht also gibt es, wenn Ihr diesen Artikel lest, schon eine Celler Initiative. Ob dem so ist, könnt Ihr in einem Blog erfahren, den wir zu diesem Zweck eingerichtet haben: www.ttcelle.overblog.de Mehr Infos unter: http://www.peak-oil.com und http://energiewende.wordpress.com

Vielleicht geht bald wieder ein Gespenst um in Europa, das Gespenst einer notwendigen und möglichen Transformation der Gesellschaft. Das „alte Gespenst“ des Kommunismus ist für die Mehrheit der Bevölkerungen in Europa aktuell keine glaubwürdige  Alternative, die die Risiken eines revolutionären Systembruchs rechtfertigen könnte. Die Perspektive einer sozialen Emanzipation der Menschheit, die sich verbindet mit der Bewusstwerdung begrenzter Ressourcen und den prekär gewordenen ökologischen  Überlebensbedingungen, aber steht auf der Tagesordnung. Die Suche nach dem Neuen kann erneut beginnen. Dabei geht es um die Anfänge von Transformation, die Ausgestaltung des Übergangs. {jcomments on}