„Nicht Ruhe ... ist die erste Bürgerpflicht, sondern Kritik“*
Versammlungsgesetz kippen!


Am 27. Juni fand in der Celler Innenstadt ein Aktionsvormittag anlässlich des geplanten niedersächsischen Versammlungsgesetzes statt. Dazu wurden beim Celler Ordnungsamt zeitgleich zu unterschiedlichen politischen Themen Versammlungen angemeldet. Mit der jeweils angegebenen Teilnehmer_innenzahl von drei bis vier Personen wurde auf den Irrsinn des neuen Gesetzes angespielt, in dem es heißt, dass schon die Zusammenkunft von zwei Personen zwecks Kundgebung zur öffentlichen Meinungsbildung anmeldepflichtig ist. Die einzelnen Beiträge wurden gefilmt und anschließend bei YOU TUBE eingestellt mit der Absicht, dass die Aktion in anderen Städten Nachahmer_innen findet.


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Seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 obliegt es jedem einzelnen Bundesland, sein eigenes Gesetz zur Einschränkung und Regelung der Versammlungsfreiheit zu erlassen. Etliche Punkte sind in dem niedersächsischen Gesetzentwurf vom Januar 2010 zu kritisieren. An dieser Stelle sollen nur einige genannt werden:

Das Mitführen von Gegenständen, die dazu geeignet sind, die Feststellung der Identität zu verhindern (z.B. Sonnenbrille, Kapuzenpulli, Schminke), kann mit einer Geldstrafe bis zu 1000 Euro geahndet werden. Eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren wird angedroht gegen Personen, die Gegenstände dabei haben, die als Waffe zu gebrauchen wären (Taschenlampe, Regenschirm??).

Der neu eingeführte Begriff „Militanzverbot“ sowie das Verbot von Tragen gleichartiger Kleidungsstücke ermöglichen der Polizei gegen Demo Teilnehmer_innen vorzugehen, wenn diese „ den Eindruck der Gewaltbereitschaft vermitteln“. Dieser subjektiven Bewertung von Aktivist_Innen öffnet Willkür Tür und Tor. Aus Sicht der Gewerkschaften könnte auch bei Streikaktionen das Tragen von gleichartigen T-Shirts oder Streikwesten und bei Arbeitskampfmassnahmen eingesetzte Streikposten unter das Militanzverbot fallen.

Bisher galt das Versammlungsgesetz nur für Versammlungen unter freiem Himmel -konform mit Artikel 8 des GG. Die neue Regelung widerspricht insoweit dem GG, in dem es auch Veranstaltungen in geschlossenen Räumen reglementiert.

Zudem stellt die Ausweitung der Anmeldefrist von früher 48 Stunden auf dann bis zu 72 Stunden eine deutliche Verschlechterung für den/die Veranstalter_in dar. Auch gehen in Zukunft alle Veranstalter_innen ein erhebliches finanzielles Risiko ein, da sie für Schäden, die scheinbar im Rahmen der Versammlung entstanden, persönlich haften. Da hilft es einem wohl auch nicht, dass die Polizei auf allen größeren Demonstrationen Videoaufzeichnungen machen darf, und diese dann auch noch „zu Schulungszwecken“ unreglementiert speichern darf.

Blockierenden von bereits genehmigten Versammlungen (z.B. Nazi- Demo Blockaden) droht eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren. Wer zu einer bereits verboten Versammlung aufruft (z.B. in den letzten Jahren entlang der Castor Transportstrecke), kann mit einer einjährigen Freiheitsstrafe rechnen. Und wer ganz vergisst, auch eine noch so kleine Versammlung anzumelden, die oder den kann ein Bußgeld von 3000 Euro erwarten.

Es gibt noch so einiges, weshalb es sich lohnt, gegen dieses Gesetz aktiv zu werden; wer an dem vollständigen Gesetzestext interessiert ist, findet ihn unter: wiki.vorratsdatenspeicherung.de/images/100112_NVersG.pdf

Selbstverständlich ist die Einschränkung unserer Demonstrationsfreiheit nicht nur ein niedersächsisches Problem und auch nicht nur ein nationales, sondern muss global gesehen werden. Je größer die Spanne zwischen Armen und Reichen wird, desto mehr setzen die Herrschenden der kapitalistischen Staaten auf Abschreckung und Repression. {jcomments on}

Mehr zum Thema unter: http://versammlung.diegedankensindfrei.org/

* Otto Brenner (1907-1972), IGM-Vorsitzender: „Nicht Ruhe, nicht Unterwürfigkeit gegenüber der Obrigkeit ist die erste Bürgerpflicht, sondern Kritik und ständige demokratische Wachsamkeit.“