Tag der Niedersachsen in Celle am 19.06.2010 – Kinder dürfen den ganzen Tag über in ein Panzerfahrzeug krabbeln.Die Bundeswehr an der Heimatfront

"Gut ausgebildete, gleichermaßen leistungsfähige wie leistungswillige Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Grundvoraussetzung für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr", heißt es im aktuellen "Weißbuch 2006 - zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr" des Bundesministeriums der Verteidigung. (1) Die Bundeswehr hat momentan etwa 366.600 Angehörige, von denen 117.300 im "zivilen" Bereich der Bundeswehr tätig sind. Den größten Teil der Bundeswehrangehörigen bilden Soldatinnen und Soldaten, die zeitlich begrenzt bei der Armee Dienst tun - also Zeitsoldaten (129.500) und Wehrdienstleistende (58.900). Der Personalstand der Armee ist also keineswegs konstant, sondern die Anzahl der Zeitsoldat_innen und Wehrdienstleistenden schwankt permanent. Immer gefährlichere Auslandseinsätze schrecken potentielle Zeitsoldat_innen ab, weiter ihren Dienst an der Waffe zu tun. Geburtenschwache Jahrgänge, die abnehmende Zahl für den Kriegsdienst "tauglicher" Jugendlicher und die große Konkurrenz mit der Privatwirtschaft um insbesondere junge Akademiker_innen machen es der Bundeswehr ebenfalls nicht leicht, ihre Truppenstärke im Soll zu halten.

Im Weißbuch 2006 wird der jährliche Bedarf der Bundeswehr an neuem Personal trotz eines generellen Personalabbaus mit jährlich 20.000 jungen Frauen und Männern beziffert. Um die "Grundvoraussetzung für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr" (2) sicherzustellen, beschreitet die Armee seit einigen Jahren neue Wege. Mit Sattelschleppern reist sie auf der Suche nach neuen Soldat_innen durch die Republik, auf jugendgerechten Websites wirbt sie für eine "Karriere mit Zukunft" und in (Jugend-)Medien schaltet sie ganzseitige Werbeanzeigen. Auslandseinsätze und das Bestreben die Armee auch im Inland einzusetzen, treffen in der Bevölkerung immer noch auf große Ablehnung. Rekrutierungsveranstaltungen der Armee sind daher auch immer Werbeveranstaltungen zur Sympathiegewinnung.

Eigene Veranstaltungen und Aktionen in Armeeliegenschaften und vor allem im öffentlichen Raum sind für die Bundeswehr enorm wichtig. Die Armee kann sich auf ihren Veranstaltungen nach Belieben präsentieren: Kein Aufwand scheint zu groß, keine Kosten zu hoch. So organisiert die Armee nicht nur Veranstaltungen in Fußgängerzonen, sondern auch Sportfeste, Konzerte und Messestände.

"KarriereTreff Bundeswehr"

Seit August 2006 tourt der "KarriereTreff" der Bundeswehr wie ein Zirkus durch die Bundesrepublik. Bis dahin hatten die drei Teilstreitkräfte Heer, Marine und Luftwaffe in eigenen Ausstellungen getrennt voneinander geworben. Der "KarriereTreff" diene dazu, sich als Arbeitgeber darzustellen, heißt es dazu auf einer Website der Armee. (3)

Das Zentrum des rollenden Informationszentrums besteht aus dem "KarriereTruck", einem großen, in zivilem Blau lackierten Mercedes-Sattelschlepper mit begehbarem Auflieger. "Sichern Sie sich einen von 20.000 Arbeitsplätzen", steht in großen Lettern auf dem Auflieger geschrieben. Über dem Eingang prangt ein Wortspiel: "Entschieden gut. Gut entschieden." Dahinter das zentrale Motto der Veranstaltungen: "Bundeswehr: Karriere mit Zukunft". In dem Truck befinden sich Broschüren und anderes Werbematerial zum Mitnehmen - sogar DVDs der Luftwaffe. An modernen Touch-Screen-Monitoren können sich die potentiellen Rekrut_innen über Jobs bei der Armee informieren. Zudem geben Soldat_innen und Wehrdienstberater_innen den meist jungen Besucherinnen und Besuchern Auskünfte. Direkt neben dem "KarriereTruck" befindet sich meist der "KinoTruck". In ihm können sich bis zu 32 Zuschauer_innen dank modernster Multimediatechnik 3DArmeefilme ansehen.

Tag der Niedersachsen in Celle am 19.06.2010 – Massive Bundeswehrpräsenz vom Bahnhof bis zum ThaerplatzDa die Bundeswehr mit ihrem "Karriere-Treff" bewusst junge Leute ansprechen will, sind fast immer auch die Bundeswehr-Kletterwand "TopFit", das Bundeswehr-Quiz "Auf Zack!" und Segways, einachsige Funsportvehikel, mit auf Tour. Ein High-Tech-Flugsimulator lässt an einen Jahrmarkt erinnern, mit dem Unterschied, dass hier für die Armee geworben wird. Wer nicht im Bundeswehr-Simulator durchgeschüttelt werden will, kann auf dem "Motorrad der Feldjäger" Platz nehmen, das die Armee oft im Schlepptau hat. Eine Tafel neben der silberfarbenen BMW-Maschine weist die Motorleistung aus - daneben wird die Laufbahn der "EskortenfahrerIn" geschildert. Eine mobile Bühne gehört ebenfalls zum Repertoire des "KarriereTreffs", hier treten beispielsweise jugendgerechte - und teilweise sogar etwas bekanntere -Musikgruppen auf. (4) Solch eine "Road-Show" - so nennt es die Armee - benötigt natürlich auch viel Personal: Rund 30 Soldat_innen - davon einige erfahrene Wehrdienstberater und Jugendoffiziere - sind bei jedem Treff dabei.

Das ist jedoch noch längst nicht alles. Um die Militär-Show noch erfolgreicher zu gestalten, werden zu jedem Einsatz Bundeswehrfahrzeuge bestellt. Beispielsweise landete beim ersten "KarriereTreff" 2008 ein UH-1D Militärhubschrauber auf dem Domplatz im westfälischen Münster. In Osnabrück soll die Armee ein Brückenbaufahrzeug dabei gehabt haben. Am 22. Mai 2008 lockten "Fuchs"-Spürpanzer und Sanitätsunimog die Leute zum "KarriereTreff" im ostwestfälischen Gütersloh. Schon im vergangenen Jahr sorgten Panzer vom Typ "Wiesel", Patriot-Luftabwehrraketen und anderes militärisches Großgerät bei den "KarriereTreffs" für viele interessierte Besucherinnen und Besucher.

Die Ausrüstung des Karrieretreffs zeigt, dass vor allem sport- und technikbegeisterte Jugendliche angesprochen werden sollen. Mit dem jahrmarktähnlichen Auftreten will die Bundeswehr ihr eigentliches Ansinnen verschleiern. Hier geht es nicht um eine Aufklärung über die Chancen und Risiken des Soldatenberufs oder um eine Diskussion über den Sinn und Zweck von Auslandsoder Inlandseinsätzen der Bundeswehr - hier geht es um das Ködern von Jugendlichen. Auf solche Vorwürfe reagiert die Armee empört: "Jeder Arbeitgeber stellt sich so gut wie möglich dar", erklärte Pressesprecher Major Kai Gudenoge beim "KarriereTreff" in Münster. Auch die Bundesregierung weist den Vorwurf des "Köderns" zurück. In der Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag heißt es: "Der Einsatz von Exponaten erfolgt zur authentischen Darstellung entsprechender Arbeitsplätze der Streitkräfte".(5) Die Zielgruppe - laut Armee alle Männer und Frauen im "wehrfähigem Alter", d.h. ab 17 Jahre - scheint sich trotzdem vor allem wegen der ausgestellten Technik für die Bundeswehr zu begeistern und von ihr angezogen zu werden und vergisst dabei schnell, dass es sich um todbringende Waffensysteme handelt. Auch Kinder begeistern sich an den Waffensystemen und werden von den Olivgrünen zum Platznehmen ermuntert.

Der "KarriereTreff" der Bundeswehr tourte 2006 - dem Jahr der Indienststellung - durch fünfzehn Städte. 2008 wurden wie schon 2007 vierzig Städte bereist. Gezielt werden dabei lokale Ereignisse aufgegriffen. So nutzte die Armee das Landesturnfest in Gütersloh, um sich gleich neben den Sporteinrichtungen zu präsentieren. Tausende - meist minderjährige – Sportler_innen wurden von den olivgrünen Häschern mit Militärbroschüren ausgestattet und durften im Spürpanzer Probe sitzen. Je nach Einsatzort sind für die Werbeveranstaltungen ein bis sechs Tage eingeplant. Nicht immer aber dauert der "KarriereTreff" so lang, wie es die Bundeswehr zuvor ankündigt, Proteste von Antimilitarist_in-nen und Friedensgruppen verderben der Armee oftmals die Show. Feldjäger sichern die "KarriereTreff's" daher bei vielen Einsätzen ab. Das Hausrecht besitzt die Bundeswehr aber meist nur in ihren Sattelschleppern und anderen Gerätschaften - vom Ort des Geschehens können die Soldat_innen die Demonstrant_innen meist nicht verweisen.

Die Bundeswehr scheut für diese Werbemaßnahmen weder Kosten noch Mühen: Die durchschnittlichen Ausgaben pro Einsatz belaufen sich laut Regierungsauskunft auf etwa 31.200 Euro. Für den Transport, Aufund Abbau sowie für die Eventmodule werden 14.700 Euro kalkuliert. Betrieb, Bewachung und Events schlagen mit 15.100 Euro zu Buche. Unterbringung und Platzmiete kosten durchschnittlich 1.400 Euro. Gesamtkosten für den "KarriereTreff" der Bundeswehr 2008: 1,3 Mio. Euro. (6)

Bundeswehr auf Nachwuchs- und Stimmenfang

Die deutsche Armee hat mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlicher Werbemaßnahmen entwickelt, um zum einen neue Rekrut_innen zu werben und zum anderen Sympathien in der Bevölkerung (zurück-)zu gewinnen. Die Spannweite reicht von - in diesem Artikel nicht näher berücksichtigten – Wehrdienstberatungen und Werbeveranstaltungen in Arbeitsämtern, an Schulen und Universitäten über Jugendsportveranstaltungen bis hin zu Einsätzen der "Bundeswehr BigBand". Hinzu kommen öffentliche Auftritte bei städtischen Veranstaltungen, öffentliche Gelöbnisse und der in vielen Kasernen jährlich stattfindende "Tag der offenen Tür". Zudem musiziert nicht nur die "Bw-BigBand" für mehr Sympathien in der Gesellschaft, sondern auch andere Armee-Orchester, wie beispielsweise das Heeresmusikkorps, das Luftwaffenmusikkorps und das Marinemusikkorps. Auch am "Girl's Day" - einem Aktionstag der Wirtschaft und verschiedener Bundesministerien, um Frauen und Mädchen "Männerberufe" nahezubringen - beteiligt die Bundeswehr sich jedes Jahr und lädt die Jugendlichen in ihre Liegenschaften ein. Jährlich finden über tausend Reklameeinsätze in der ganzen Bundesrepublik statt.

Dabei darf nicht vergessen werden, dass beinahe alle Einsätze der Zusammenarbeit mit zivilen Stellen bedürfen. Ob dies nun die Messeleitung ist, die der Armee einen großen Stand gewährt, die lokale Arbeitsagentur, die den Olivgrünen einen Raum zur Verfügung stellt oder die Stadt, die dem "KarriereTreff" für einige Tage den örtlichen Marktplatz überlässt. Es bedarf also nicht nur der Kritik an der Bundeswehr, sondern auch an den mit ihr kooperierenden öffentlichen Stellen.

Die Bundeswehr zeichnet sich bei ihren Reklameeinsätzen vor allem durch ihr unverschämtes Verhalten aus. Absichtlich werden Minderjährige umworben und ihnen ein unkritisches Bild von der Armee präsentiert. Über Sport- und Abenteuerveranstaltungen werden die jungen Menschen für die Bundeswehr begeistert, um später an der Waffe zu dienen. Währenddessen wird auch bei älteren Menschen um Sympathien geworben.

Nicht nur in Afghanistan tobt der Kampf um die "hearts & minds" der Bevölkerung - wie es im Militärjargon heißt.

Fazit: Bundeswehr im Werbefeldzug

Für Kinder und Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren hat die Bundeswehr ihr "treff.Bundeswehr"-Konzept entwickelt. Dazu gehören neben der bunt gestalteten treff.Bundeswehr-Website vor allem die "infopost" aber auch Veranstaltungen wie die "Bw-Adventure-Games" und "Bw-Musix". An ältere Jugendliche und junge Erwachsene bis 25 Jahre richtet sich das "bundeswehrkarriere"-Konzept. Hierzu gehören neben der Website www. bundeswehr-karriere.de der "KarriereTreff" und die "Messestände". Das "Bundeswehr-Karriere"-Konzept ist auf ältere Jugendliche zugeschnitten, die Veranstaltungen, Flyer und Websites sind weniger bunt konzipiert und beschäftigen sich direkt mit dem Arbeitgeber Bundeswehr. Spiele und andere Entertainment Angebote werden weniger angeboten. Das deutsche Militär hat also ein Konzept für 14 - 20 Jährige und ein Reklamekonzept für die bis zu 25 Jährigen. Beide Konzepte sind natürlich nicht strikt voneinander getrennt, sondern greifen Hand in Hand.

Die Werbemaßnahmen der Bundeswehr zur Nachwuchs-und Sympathiegewinnung sind schon heute enorm. In Zukunft werden diese Aktivitäten - durch die angestrebte zunehmende Beteiligung Deutschlands an Auslandseinsätzen und dem Ziel einiger Politikerinnen und Politiker, die Bundeswehr auch im Inland einzusetzen - wohl noch ausgeweitet, da der Bedarf an frischen Soldatinnen und Soldaten weiter Bestand haben wird. Zukunftsweisend für die deutsche Rekrutierungsstrategie scheint die US-Armee zu sein. Diese betreibt schon seit Jahrzehnten eine aggressive Werbestrategie, um junge Leute vom Eintritt in die Armee zu bewegen. Mit der Zunahme umstrittener Militäreinsätze steigt auch die Zahl der Armee-Reklameeinsätze. Daher müssen sich antimilitaristische Aktivitäten und Proteste der Friedensbewegung nicht nur gegen die Einsätze der Bundeswehr, sondern auch gegen die Rekrutierungs- und Sympathieeinsätze richten. Wer die Rekrutierung neuer Soldatinnen und Soldaten verhindert, verhindert die "Grundvoraussetzung für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr". (7)

Anmerkungen:
(1) BMVg (2006): Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr; Seite 154.
(2) ebd.
(3) www.streitkraeftebasis.de
(4) www.treff.bundeswehr.de
(5) Kleine Anfrage der Linksfraktion: Reklametätigkeit der Bundeswehr, BT-Drucksache 16/4532, 02.03.07.
(6) Kleine Anfrage der Linksfraktion: Militäraufmärsche in der Öffentlichkeit und Reklameeinsätze der Bundeswehr, BT-Drucksache 16/7925, 25.01.08.
(7) BMVg (2006): "Weißbuch 2006 - zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr".

Michael Schulze von Glaßer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors, gekürzt aus: IMIMagazin - Februar 2009 (http://www.imionline.de/download/MSG-BW-Marketing.pdf)

Weitere Infos unter: http://www.bundeswehr-wegtreten.org/ oder http://www.imi-online.de/

Tag der Niedersachsen in Celle am 19.06.2010 – Für eine gute halbe Stunde protestierten zwei Antimilitaristinnen gegen die Bundeswehrpräsenz; die Polizei forderte zum Abbruch auf, da für den Thaerplatz eine Sondernutzung durch die Bundeswehr gelte. Am Vortrag hatten die beiden beim BWPublic- Viewing am Schlösschen im Französischen Garten am Ende des Spiel Deutschland-Serbien protestiert. – Ein Interview zu dieser Aktion gibt es bei Radio Flora als Podcast in der Sendung „Culture Courage“ vom 30.06.2010. Leider gibt es keinen direkten Link.{jcomments on}