„Das ist moderne Sklaverei!“

Unverkennbar war José Bové der „Stargast“ des Abends. Auf den französischen „Agrarrebellen“, „Attac- Mitgründer“ und „Globalisierungskritiker“ waren die Kameras genauso gerichtet wie das Interesse der Besucher_ innen. Initiiert hatte die Veranstaltung zur industriellen Landwirtschaft die bündnisgrüne Europaabgeordnete Rebecca Harms, die Bové zu ihren Fraktionskollegen zählen kann. Neben dem Parlamentsgespann waren als weitere Redner Norbert Juretzko, der Vorsitzende der BI gegen den Wietzer Schlachthof, sowie Eckehard Niemann von der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ auf dem Podium. Eine Diskussion im eigentlichen Sinne gab es nicht an jenem 23. September in Lehmanns Partyscheune in Klein-Hehlen; mit gut 100 Besucher_innen aber hatte die Veranstaltung durchaus den Charakter einer Kundgebung gegen die industrielle Massentierhaltung – denn Befürworter des Wietzer Schlachthofprojekts fanden sich weder unter den Redner_innen, noch in größerer Zahl im Publikum.

Seinen weltweiten Bekanntheitsgrad verdankt José Bové nicht seiner Tätigkeit als Parlamentarier, sondern den „direkten Aktionen“, mit denen er für die Interessen der Kleinbauern eintrat: So zerlegte er gemeinsam mit anderen Bauern im Jahr 1999 eine McDonald’s-Filiale aus Protest gegen die Strafzölle, die die US-Regierung französischen Agrarprodukten auferlegt hatte. In den letzten Jahren war er einige Male an der Verwüstung von Genmais-Plantagen beteiligt.

Bové vertrat die Auffassung, dass die in Wietze geplante Großschlachterei mitsamt den anzusiedelnden Mastställen einen eigentlich gesättigten Markt bedienen würde. „Weltweit verfestigt sich der Trend, Geflügel industriell für den Export zu produzieren. Die höchste Konzentration an Geflügelindustrie ist in Brasilien zu finden, da dort die Arbeitskräfte und das Futter am billigsten sind“, so Bové . Das Fleisch aus Brasilien würde dann nach Europa importiert, wofür EU-Subventionen gezahlt würden. Ein Teil der europäischen Produktion würde nach Afrika exportiert, wofür ebenfalls EU-Subventionen flössen. Mit den sehr billig in Afrika angebotenen Hühnchen würden dort die lokalen Märkte zerstört. Daraus schlussfolgerte Bové , dass das Wietzer Großprojekt nur eine wirtschaftliche Zukunft hat, weil und wenn es subventioniert werde. Ein bisschen zu optimistisch vertrat Bové die Auffassung, dass Verbraucher_innen diese Art der Fleischproduktion nicht wollen und dass von dieser Seite letztlich auch der Druck entstehen würde, politisch einen anderen Weg einzuschlagen.

Ein weiterer Aspekt, den Bové ansprach, waren die Produktionsbedingungen der Mäster: „Sie werden zu Preisen produzieren müssen, die ihnen finanziell keine Zukunft bietet und sie in eine moderne Sklaverei bringt. Außerdem ist die lokale Wirtschaft anfällig, da Mastställe Monokultur bedeuten. Die hygienischen Probleme, z.B. im Hinblick auf die so genannte Vogelgrippe in Kombination mit den sich verbreitenden Antibiotikaresistenzen in solch einer Fleischindustrie ist eine echte Zeitbombe.“

Als Vertreter des internationalen Kleinbauernverbandes La Via Campesia stellte Bové eine Verbindung her zwischen dem Kampf gegen den Schlachthof vor Ort und den Kleinbauern in Brasilien, denn: Intensive Produktion von Geflügel verschlingt 28 % des in die EU importierten Sojas aus Südamerika. Soja, für das einerseits Regenwald abgeholzt wurde - und andererseits den Kleinbauern dadurch Agrarfläche zur Selbstversorgung geraubt wird: „Somit ist der Kampf gegen den Schlachthof auch ein Kampf gegen die Unterdrückung Südamerikas.“

Eckehard Niemann erinnerte an den Milchstreik vor zwei Jahren, wo deutsche von französischen Landwirten im Kampf gegen die Agrarindustrie unterstützt wurden: „Der nächste gemeinsame Kampf muss der gegen Agrarfabriken sein. Es müssen EU-weite, gemeinsame Standards geschaffen werden, die Wettbewerbsunterschiede verhindern und Dumpingangebote ausschließen. Die Länder des Südens dürfen nicht durch die Agrarpolitik hier im Norden in entwürdigende Abhängigkeiten kommen, sondern brauchen eine eigene Ernährungssouveränität. Die unverantwortliche Förderung und Beschönigung … durch Schlachtkonzerne, Bundespolitiker, Landesregierungen, Bauernverband und Agrarlobby muss sofort beendet werden.“

Vehement sprachen sich beide alternativen Bauern- Vertreter für das Paradigma der „Ernährungssouveränität“ aus: Stärkung der nachhaltigen, heimischen, kleinbäuerlichen und kooperativen Produktion – gegen die Macht der Agrokonzerne.